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Abmarsch. Am 17. Februar gastiert das Hans Otto Theater im Kleist Forum Frankfurt (Oder) mit „Nathan der Weise“ in der Regie von Tobias Wellemeyer.

© HL Böhme

Kultur: Unterwegs

Wie der Theaterverbund in Brandenburg enger zusammenrücken soll – und womit er hadert

Da gibt es kein Schönreden: Natürlich hätten die Brandenburger Kommunen vor gut 15 Jahren gern ihre eigenen Ensembles behalten, statt mit Gastspielen abgespeist zu werden. Künstler in Frankfurt (Oder) traten sogar in den Hungerstreik, um gegen die Abwicklung ihrer Sparten zu demonstrieren. Ohne Erfolg. Frankfurt blieb nur sein Staatsorchester und eine Bühne, die nun von Gästen landauf, landab fremdbespielt wird. Der von Ex-Kulturminister Steffen Reiche 2004 auf den Weg gebrachte Theater- und Orchesterverbund ist die Brücke, um diese Untiefen brandenburgischer Finanzlöcher zu umgehen und die Kommunen nicht ganz von der Kunst abzukoppeln.

Diese Brücke hat inzwischen sechs Pfeiler. Zu den anfänglich drei Verbundstädten Potsdam, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel kamen 2017 Senftenberg und Schwedt mit ihren Schauspielbühnen hinzu. „Das ist deutschlandweit einmalig“, sagt Florian Vogel, der künstlerische Leiter des Kleist Forums Frankfurt (Oder), der seit Mai 2017 auch den Verbund koordiniert. Eine neu geschaffene Stelle, die vom Land in 2017 und 2018 mit je 20 000 Euro finanziert wird. Vogel soll die Partner enger zusammenführen.

Wie sieht es derzeit aus? Potsdam, Senftenberg und Schwedt tragen ihre Inszenierungen in die schauspielberaubten Städte Frankfurt und Brandenburg. Das Staatstheater Cottbus ist für alle ebenfalls ein Kooperationspartner, ohne jedoch im Verbund zu sein. Es hat als einziges Haus noch ein eigenes Musiktheaterrepertoire. Nutznießer ist auch Potsdam, das jedes Jahr zwei Inszenierungen mit jeweils zwei Vorstellungen aus Cottbus einkauft. „Der Verbund ist eine Art Planwirtschaft: ein genau festgeschriebenes Geben und Nehmen“, so Vogel. So muss das Hans Otto Theater liefern und bekommt dafür eine feste Summe, egal wie die Auslastung vor Ort ist. Die anderen garantieren wiederum, dass sie diese Produktionen abnehmen. Sie müssen darauf vertrauen, dass gute Inszenierungen kommen. Florian Vogel möchte sich dafür einsetzen, dass trotz der Regularien die Kreativität nicht auf der Strecke bleibt. Die Auslastung der Gastspielorte sei schon besser geworden.

Volkmar Raback, der Geschäftsführer des Hans Otto Theaters, nennt Zahlen. 2017 waren es 37 Schauspielaufführungen, mit denen Potsdam reiste: 18 zeigte es in Brandenburg und 19 in Frankfurt. Die Auslastung lag bei 74 Prozent in Brandenburg und 65 Prozent in Frankfurt. Im Vergleich: Im Stammhaus Potsdam liegt sie derzeit bei 73 Prozent. „Anfänglich hatten wir bei unseren Gastspielen um die 50 Prozent Auslastung.“ Besonders gut liefen Weihnachtsmärchen sowie die Lesungen von Hans-Jochen Röhrig, so Raback. Aber der Fremdbetrieb sei insgesamt immer eine Rechnung mit vielen Unbekannten: „,Tschick’ war bei uns der große Renner, in Brandenburg blieb der Saal halb leer. Man kriegt kein Schema rein. Wenn man kein eigenes Ensemble hat und immer nur Gäste einkauft, ist es eben nicht das Eigene. Das wird immer so sein. Und man kann nur das Beste daraus machen.“

Die Geschäftsführerin der Musikfestspiele Sanssouci und Nikolaisaal GmbH, Andrea Palent, ist indes zufrieden. Der Nikolaisaal als Abnehmer kauft seit Jahren kontinuierlich zehn Konzerte vom Frankfurter Staatsorchester und vier von den Brandenburger Symphonikern. „Das ist seit Beginn so und läuft sehr gut. Wir fühlen uns als eine Orchesterfamilie“, so Palent. Eine Veränderung im Konzertankauf gibt es in diesem Jahr seitens der Stadt Potsdam. Sie nimmt jetzt nicht mehr wie noch 2017 vier Konzerte, sondern zwei Konzerte ab, um die Chorsinfonik abzusichern. „Die Chöre wollten mehr künstlerische Freiheit und sträubten sich gegen die starre Festlegung. Außerdem habe sie in den Kirchen ihre eigenen Orchester. Aber bei großer Sinfonik ist es natürlich gut, wenn man auf ein Staatsorchester wie Frankfurt mit 90 Musikern zurückgreifen kann“, sagt Andrea Palent.

Florian Vogel hofft, dass trotz Mangelverwaltung gerade in Frankfurt und Brandenburg mehr und mehr Nähe zu den Gästen entsteht. „Obwohl wir unserer Identität beraubt worden sind, wollen wir durch Stetigkeit und Wiederholung wenigstens ein wenig Vertrautheit aufbauen.“ Vor allem setzt er auf eine inhaltliche Koordinierung, auf Absprachen in der Spielplangestaltung. „Was nutzt es, wenn ein angesagtes Stück wie ,Tschick’ an drei Bühnen gleichzeitig gespielt wird? Wir müssen im Verbund denken.“

Begeistert zeigt sich Vogel von der Weitsicht der künftigen Intendantin des Hans Otto Theaters. „Sie hat uns bereits vier Produktionen benannt, die reißen könnten: richtige Blockbuster-Titel. Bettina Jahnke bringt ihre Erfahrungen aus Neuss mit, einem fahrenden Landestheater. Ohne die Titel zu verraten, die erst im Mai öffentlich bekannt gegeben werden: Es sind große Klassiker, die auch für Schulklassen interessant sind.“ Das sei, sagt er, sinnvoller als Stücke von Roland Schimmelpfennig, „die inhaltlich zwar wichtig sind, aber nicht zum Austausch taugen“.

Der Koordinator lädt derzeit die Fachleute aller Theater abteilungsweise an einen Tisch. Den Auftakt machten vor zwei Wochen die Disponenten aus den künstlerischen Betriebsbüros, die sich bislang nur vom Telefon kannten. Nun konnten sie im geschützten Raum auch darüber sprechen, was alles nicht funktioniert. Das nächste Treffen sei den Theaterpädagogen und dem Marketing vorbehalten.

Auch die Dramaturgen sowie die technischen Leiter will er zusammenführen. „Gerade in der Technik liegt viel brach, allein wenn ich an das Thema Barrierefreiheit denke.“ Die Theaterleiter sehen sich indes zu den Premieren und auch zu den regelmäßigen Vertragsabsprachen des Verbundes. Aber die Gewerke trafen sich bislang nicht. „Genau da aber sehe ich Ressourcen, auch um technisch kompatibler zu werden. Manche brauchen zum Aufbau ihrer Gastvorstellung einen Tag, andere zwei. Da kann man sicher voneinander lernen. Wir klopfen alles ab. Und dabei geht es nicht ums Geldeinsparen.“

Auch die beiden neuen Partner, die schon zuvor in Frankfurt gastierten, haben nun eine größere Planungssicherheit, da sie durch den Vertrag von einer festgesetzten Anzahl von Gastaufführungen ausgehen können. Vielleicht werden die Theater dadurch sogar kreativer, so Vogels Hoffnung. „Wenn man immer nur auf die Zuschauerzahlen schauen muss, kann das auch lähmen.“ Er hofft, dass um die Gastspiele künftig noch einiges drum herum gestrickt werden kann. „Vielleicht kann man die Vorstellung mit einer Matinee einführen oder mit einer Party ausklingen lassen.“ Natürlich wissen die Frankfurter oder Brandenburger, dass eine Inszenierung aus Potsdam nun mal für Potsdam produziert wurde. „Aber vielleicht schafft man es ja, dennoch etwas Identität zu stiften. Vielleicht, wenn man den einen oder anderen Schauspieler öfter erlebt.“ Nähe statt Konkurrenz – darauf setzt Florian Vogel.

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