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Kultur: Unterwegs im „Neuland“

Beim Globians-Festival: Bilder aus Ostdeutschland

Während in der Landeshauptstadt Potsdam in leergezogene Kasernen oder stillgelegte ehemalige Industriebetriebe langsam aber sicher wieder pulsierendes Leben einzieht, sieht das in großen Teilen Ostdeutschlands auch siebzehn Jahre nach den versprochenen „blühenden Landschaften“ gänzlich anders aus. Fährt man mit dem Zug, wie das die Filmemacher Daniel Kunle und Holger Lauinger getan haben, durch die fünf neuen Länder, ziehen draußen unübersehbare Brachen, vernagelte Bahnhöfe und verfallende Fabriken vorüber, ganz gleich, ob man sich im Oderbruch, in der Gegend um Halle-Leipzig oder im Vogtland befindet.

„Fragmentierung“ nennt der Sozialwissenschaftler Rainer Land vom Netzwerk Ostdeutschlandforschung das im sensiblen Dokfilm „Neuland“, der am Dienstagabend auf dem Globians Film Festival im Alten Rathaus zu sehen war. Konkret bedeutet es, dass sich Wachstum und Produktivitätsentwicklung an wenigen Punkten, so genannten „Knoten“ wie beispielsweise Potsdam konzentrieren. In Neulietzkegöricke, Weißenfels, Wolfen und Jüterbog hingegen werden in unserer globalisierten Welt weiterhin „überflüssige Menschen“ en gros produziert und in einer gespenstischen Computersimulation im Film wird vorgeführt, wie eine ehemalige Industriestadt wie Reichenbach in den nächsten Jahren weiter unaufhaltsam zusammenschrumpft.

Und auch wenn die Bilder, die Kunle und Lauinger eingefangen haben, ungeschönt der Entwicklung ins Gesicht sehen, verbreitet ihr Reisebericht durch die ostdeutsche Transformationslandschaft nicht vorrangig Betroffenheit oder Resignation bei den Zuschauern. Denn die beiden jungen Filmemacher sprechen auf ihrer Reise immer wieder mit Menschen, die in den krisenhaften Zeitläufen und gebeutelten Landstrichen durchaus Entwicklungspotentiale und sogar „Neuland“ sehen. Wie beispielsweise die beiden gewitzten Schneckenzüchter Danny Hübner und Daniel Weller aus dem Vogtland oder der widerständige Buffalo-Rancher Falk Selka und nicht zuletzt die umtriebigen Initiatoren und Bewohner vom Ökodorf Siebenlinden oder der Kommune Waltershausen.

Denn die finden, wie der Architekturkritiker und Publizist Wolfgang Kil in seinem Buch „Luxus der Leere“ schon 2004 beschrieb, in den leeren Häusern und Brachen nicht nur aus Verzweiflung, „lauter unerschlossene Möglichkeitsräume“, und setzen weitverbreiteter Resignation und Abwanderung selbstverantwortete und kreative Lebensprojekte entgegen. Egal, ob sie mit wenig Geld und viel Mut aus dem Osten oder mit großen Ideen und wenig Platz dafür aus dem Westen Deutschlands kommen.

Der Film „Neuland“ gibt dabei keine endgültigen Antworten auf auch im Westen Deutschlands anstehende gesellschaftliche Fragen, sondern zeigt vor allem kleinste Schritte von unerschrockenen Pionieren, die mit Verantwortungsbewusstsein global denken und lokal handeln. Diese mutmachende Botschaft kam auch bei den Zuschauern am Dienstagabend sehr positiv an. Und man wünscht dem Film, der über mehrere Jahre und ganz ohne öffentliche Förderung zustande kam und seinen Weg bisher durch eine „eigene Art von Verwertung“, wie der anwesende Regisseur Daniel Kunle erzählte, gefunden hat, unbedingt den Sprung in das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm.

Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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