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Küchenschlacht. „Lichtung“ von O-Team aus Stuttgart bei Unidram.

© Markus Niener

Unidram Tag 2: Mörder und Material

Stücke zu Heidegger und Heydrich

Beklemmender hätte dieser Theaterabend am Mittwoch, dem Tag nach dem Wahlsieg von Donald Trump, gar nicht ausfallen können. Zwei Männer standen im Mittelpunkt dieses zweiten Unidram-Festivaltages: Reinhard Heydrich, der maßgebliche Organisator des Holocausts, in einer Inszenierung des Prager Mime Club und der zivilisations- und technikkritische Philosoph Martin Heidegger in einem Beitrag des Stuttgarter O-Team.

Gemeinsam ist Heydrich und Heidegger, dass sie in der krisenhaften Situation der Weimarer Republik nach Orientierung suchende, relativ junge Männer waren – und dass sie, unterschiedlich stark, mit dem Nationalsozialismus in Berührung kamen. Während der eine sich als emotionsloser Manager und effizienter Vollstrecker in den Dienst des Regimes stellte, analysierte der andere, dass der Faschismus, „von dem er sich mehr erhofft hatte“, wie 2014 in der „Zeit“ zu lesen war, „selbst die Ausgeburt jener neuzeitlichen Machenschaften war, die er doch überwinden sollte – amerikanisiert, rechnerisch und bodenlos technisch“.

In nur 35 Minuten zeichnete die Inszenierung des Prager „Heydrich“ ein punktgenaues Psychogramm dieses technokratischen Massenmörders. Der, wie man weiß, wie andere seiner Zeitgenossen auch der Musik ebenso verbunden war wie der Barbarei. So tritt Alexej Bycek anfangs auch wie ein Musiker, in weißem Hemd und schwarzer Anzughose, vor sein Publikum. Doch schon in den ersten Minuten, in denen er schweigend dasteht, spürt man, wie sehr dieser Charakter andere beherrschen und manipulieren will.

Einem vor ihm auf dem Boden sitzenden Mann nimmt er kurzerhand die Brille weg, anderen streicht er ungefragt mit dem Geigenbogen über ihren Körper und der brutale Höhepunkt dieser Inszenierung entsteht, als er eine junge Frau aus dem Publikum gegen deren Willen zum Tanzen zwingt. Als diese sich weigert, nimmt er sie einfach auf seine Arme und dreht sich mit ihr besinnungslos. Schrecklich, wenn da einige Zuschauer meinen, klatschen zu müssen.

In seiner ästhetischen Gestalt geradezu gegensätzlich war die zweite Aufführung an diesem Abend. Während „Heydrich“ mit Live-Musik (Violine: Tomá Brummel) und mit einigen wenigen Requisiten arbeitete, war die Vielzahl der Küchengeräte und Computer, der Töne, Geräusche und Bilder und vor allem der bedeutungsvollen und -schweren Worte in „Lichtung“ (Regie Samuel Hof) kaum zu überblicken, geschweige denn zu verarbeiten. Fast ein Dutzend Zuschauer verließen dann auch vorfristig die Waschhaus-Arena.

Doch zuerst ist da nichts. Ein Mann sitzt am Küchentisch zwischen all diesen modernen Maschinen, die dem Menschen das Leben leichter, aber auch sinnentleerter gemacht haben, und tut nichts. Nichts als Warten. Assoziationen zur gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitswelt entstehen dabei. Martin Heideggers inzwischen 50 Jahre alten und dabei oft erstaunlich zeitgemäßen Texte flackern als permanente Übertitelung durch diese Bilderflut aus sieben Kapiteln.

Am Ende wabern die Texte poetisch und bedeutungsschwer auch aus den Mündern der beiden Protagonisten Florian Feisel und Folkert Dücker, die in ihrer Wohnküche nach und nach im gemeinsam lustvoll inszenierten Chaos verschwinden. Überbordendes Bild- und Geräuschtheater, das nach einem sinnvollen Dasein zwischen Natur und Technik fragte, war das. Komplex und undurchschaubar – wie die Wirklichkeit selbst.

Doch ein Satz aus dieser gigantischen Wörterflut setzte sich fest: Die (eigentliche) Verwüstung beginnt vor dem Krieg. Und genau dies erscheint als der gemeinsame Nenner, auf den sich die beiden so unterschiedlichen Inszenierungen bringen lassen. Was muss mit Menschen passieren, damit sie „reif“ dafür sind, sich manipulieren und für Dinge, die wider die Natur des Menschen sind, benutzen zu lassen? Eine Frage, die schon oft gestellt wurde und trotzdem immer wieder neu beantwortet werden muss. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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