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So freundlich hell. Doch im Inneren dieser „Weißen Kabine“ von Akhe ging es ziemlich finster zu.

© Unidram

Unidram: Ein Miniaturzebra und Fäden im Mund

Auch im 20. Jahr seines Bestehens als Internationales Theaterfestival hatte Unidram in der letzten Woche nicht gerade wenig zu bieten. Und bei dem, was zu sehen war, zeigte sich Liebe, Geist und Kunst.

Aber vor allem Liebe zur Sache muss vom Veranstalter in der Schiffbauergasse im Spiel gewesen sein, hätte man sonst so lange und ziemlich erfolgreich durchgehalten? Hätte die St. Petersburger Truppe Akhe denn sonst mit der farbtriefenden Performance „Monochrom“ ein so dankendes Denkmal gesetzt und das Publikum zum Nulltarif dazugebeten? Theater steht immer im Kampf zwischen Freiheit und Macht, seitdem man es als dionysisch, als etwas Dunkles beschrieb. Wie Kain und Abel bekämpfen sich seitdem Freiheit und Macht – und brauchen einander doch, Unidram zeigt es ja, und anderes auch. Dunkel begann „Die weiße Kabine“, eine 70-minütige Aufführung der Theatergruppe Akhe. Hier hatte man es mit einer nonverbalen, nur lose aufgetrieselten Szenenfolge zu tun, die sozusagen in aller Schwärze begann und in einem dreifach dimensionierten Raum weißer Farbe endete. Auch da ging es dann ziemlich finster zu.

Eine gegenwärtige Frau, zwei skurril, manchmal clownesk wirkende Männer mit Zauselbart und seltsamen Riten. Fäden kommen aus einem Mund, Fäden kreuz und quer auf der Bühne, einer blättert wie wild in einem Buch, bis es staubt, er will sich aufhängen, doch reißt der Strick, schließlich werden drei Zwischenvorhänge herabgelassen, alles weitere Spiel wirkt wie in einem Passepartout, darauf in zwei Tiefenebenen gemaltes Bildwerk, Film und diverses Malutensil projiziert werden. Was auf den ersten Blick wie ein absurdes Spiel von allgemeinmenschlicher Bedeutung und gegenseitiger Zuordnung ausschaut, erweist sich bald als jüdische Variante des Opus Mundi: Die Fäden aus dem Mund sind Worte, die wieder zurückgenommen werden. Der mit etlichen Zeitungen umwickelte Zweite löst sich von ihnen, doch sind es die täglichen Fallstricke, mit denen die Bühne überzogen ist. Der da im Buch des Lebens oder des Todes blättert, sucht sich selbst, und so fort. Freilich ist eine distanzierte Haltung zum diesem Thema bei Akhe unübersehbar. Ein bisschen zu lang und ziemlich selbstverliebt. Es war die neunte von zehn Aufführungen am Freitag.

Mehr als sechs Stunden Theater waren so an diesem Abend zu erleben. Und doch waren die gerade mal 20 Minuten des israelischen Figurentheaters Bubat im Fluxus-Museum ein ganz besonderes Erlebnis. Beide Vorstellungen waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, obwohl die Clownin Meital Raz mit „Zebra“ zum ersten Mal in Deutschland war. Vom titelgebenden Huftier war zuerst nichts zu sehen. Dafür stand die 32-Jährige mit ihren großen braunen Augen, einem knallroten Mund und blauer Fliege auf der Bühne. Wie in Fernsehshows animierte sie das Publikum zum Klatschen und setzte sich an ihren kleinen Holztisch. Und schon nach diesen wenigen Sekunden war klar, dass von nun an ein stetiges Wechselbad der Gefühle auf das Publikum einstürmen würde. Urplötzlich hatte die Künstlerin ein wenige Zentimeter großes Zebra auf dem Zeigefinger ihrer linken Hand und ließ das possierliche Tier mithilfe ihrer anderen vier Finger auf der nackten Holzfläche des Tisches grasen. Sie selbst verspeiste dabei genüsslich eine stattliche Portion Petersilie.

Dieses Wechselspiel zwischen Figuren und Spielerin durchzog die gesamte Inszenierung, denn die ungemein präsente Clownin gestaltete mit jeder Faser ihres Körpers diese wunderbar tragikomische Geschichte um die beiden Zebras, eine Geier- und eine Menschenfamilie. Der Tisch, ihre Stimme und wenige Requisiten reichten aus, um ein ganzes (Menschen-)Leben mit großem Glück und ebensolchem Unglück zu bebildern.

Dabei ist Meital Raz, die in Barcelona und in Jerusalem studierte, eine virtuose Könnerin der nonverbalen Kommunikation. Ihre Mimik und Gestik von Tier und Mensch trafen punktgenau die jeweilige, von einem Moment zum anderen veränderte Stimmungslage. Und die wohlkalkulierte Lust an Übertreibung zeigte ihren skurrilen Humor. Tragisch und großartig zugleich, wie die Geiermutter ihre Beute mit einem Ziegelstein zermalmte. Man hätte noch stundenlang zuschauen können, wie große und kleine Katastrophen einander abwechselten, wie des einen Glück des anderen Unglück war. Und war nach dem stürmischen Schlussapplaus ungemein dankbar, dass genau diese Produktion einen Platz zwischen den anderen Festival-Schwergewichten gefunden hat.

Tags drauf zeigte die ungarische Gruppe Artus, wie es in Ulysses Wohnzimmer aussah, oder aussehen könnte. Dieser „Living room“ in den Tiefen der Waschhaus-Arena bestand aus 30 Dreisitzern, etlichen Wohnzimmerlampen und ungefähr zehn Spielpodesten mittenmang. Zu dritt saß das Publikum fast wie daheim auf dem Sofa und erlebte vorerst, wie jeweils Zweiergruppen aus Mann und Frau sozusagen Szenen einer Ehe spielen. Die gewählte Ästhetik stammt allerdings aus dem vorigen Jahrhundert: spotartige Kurzfassungen mit wechselnden Schauplätzen, Wiederholung der Abläufe, Musik von Bach bis Punk Rock. Mochte James Joyce da irgendwo Pate gestanden haben, er hat das sicher besser gelöst. Am Rand ein raumlanger Messstab, darauf eine Kugel im Abwärtsgleiten die Echtzeit gibt. Vorn eine Filmprojektion, Regisseur in der Wüste Negev zeigend, wie er sich 24 Stunden lang mit der Sonne dreht. Erst am Ende dieses Ziemlich-Langweilers schminken sich zwei, Ulysses und sie. Er zersägt den Wohnzimmertisch, um als zeitloser Held durch die Gassen der Sofas zu paddeln. Dann geistern beide in Zeitlupe durch den abgedunkelten Raum, an den Sitzenden vorbei – Gespenster von Ulysses und Penelope nach Homer, oder die Geister von Leopold Bloom und seiner untreuen Frau Molly nach Joyce? Fast 90 Minuten Äußerlichkeit und Effektsucherei. Kaum Tiefe. Hätten die Budapester alles so clownesk gespielt, wie die letzten Szenen rund um die Mülltonne, ja dann ...

Während die polnische Gruppe Suka Off im Waschhaus anatomisch korrekt aus der Haut ihres „Roten Drachen“ ein neues Monster erschuf, war es Meital Raz, die mit ihren Fingerpuppen gezeigt hatte, dass weniger meist mehr ist: Geier trifft Zebra, Zebra trifft die Mutter von oben, Mutter tot, Kind trifft Zebra, fliegt bis zum Mond hin, und weiter, wo man die Freiheit vermutet – dank Unidram!

Gerold Paul, Astrid Priebs-Tröger

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