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Kultur: Umjubelte Uraufführung der „Bestmannoper“

Die Komposition des Potsdamers Alex Nowitz überzeugte in Osnabrück durch ihre Tiefenstruktur

Serge Klarsfeld ist sichtlich gerührt. Erst wenige Tage zuvor hatte er erfahren, dass es eine Oper gibt, die sein Schicksal als Überlebender der Shoah thematisiert. Im Osnabrücker Theater erlebte er deren Uraufführung, am Rande der fünften Reihe im Parkett. Er nahm teil an dem jubelnden Applaus, der, nach einem Moment der Stille, einsetzte.

Der grandiose Erfolg ist der Lohn vor allem für Mut. Ist schon die Aufführung einer zeitgenössischen Oper für einen Kulturbetrieb ein Wagnis, so gilt dies um so mehr für eine Oper, die sich mit Mitteln der Groteske der nationalsozialistischen Judenvernichtung widmet. Der Potsdamer Komponist Alex Nowitz ist das Wagnis eines solchen Konzepts eingegangen, unterstützt von seinem Librettisten, dem Berliner Schriftsteller Ralph Hammerthaler, und von Carin Marquardt, der neuen Operndramaturgin am Osnabrücker Theater, die nach den ersten Eindrücken zu einer engagierten Streiterin für die Realisierung des Vorhabens wurde.

„Die Bestmannoper“ erzählt von Alois Brunner, der als „der beste Mann“ Eichmanns die am Schreibtisch des Bürokraten ersonnenen Vorgaben zur Judenvernichtung aufs effizienteste umsetzte. Selbst noch in Städten, die bereits als „judenrein“ galten, stöberte Brunner versteckte Juden auf und führte sie der Deportation in die Vernichtungslager zu. Der Vater von Serge Klarsfeld verbarg seine Familie im Kleiderschrank, hinter einer Zwischenwand. Er verbot seinem Sohn zu atmen, wenn die Nazis kämen – und erst recht sollte er nicht versuchen, seinen Vater zu verteidigen. So musste das Kind hilflos die Demütigungen mit anhören, die der Vater erlitt, musste miterleben, wie er von Brunner abgeführt wurde. Er erfuhr später, dass der Vater in Auschwitz vergast wurde, und wurde selbst zu einem Ankläger und Jäger der Mörder. Etliche konnte er vor Gericht bringen, Brunner allerdings nie. Der lebt(e) ungeschoren in Syrien. Geheimdienste, die sich seiner Fertigkeiten bedienten und ihn beschützten, gab es nicht wenige.In den drei Akten werden die Ereignisse schlaglichtartig erzählt. Der Librettist bedient sich einer satirischen Sprache, die das Geschehen „zur Kenntlichkeit überzeichnet“. Durch die Reduktion des Epischen gelingt die nachvollziehbare Darstellung verschiedener Zeitebenen. Den Perspektiven verschiedener Protagonisten wird Raum gegeben, ohne dass die Zuschauenden den Faden verlieren. Die Inszenierung nimmt das Comichafte auf, dessen Wesen der kurze und prägnante Ausdruck ist.

Das bayrische Wirtshaus der ersten Szene könnte kaum klischeehafter sein, die Gesichter der gejagten Kinder sind einheitliche Masken, die Zackigkeit der Nazis ist in keinem Moment gebrochen. An einigen, dramaturgisch entscheidenden Stellen allerdings verzichtet die Inszenierung auf den karikierenden Stil und schafft dennoch Szenen mit hohem Zeichencharakter. So sehen die Jüdinnen, die gezwungen werden, gelbe Sterne zurechtzuschneiden, und dazu übergehen, diese aus den Blusen und Röcken zu schneiden, die sie am Leibe tragen, am Ende der Szene bereits wie verwundet aus. Musikalisch endet diese Szene in einem dissonantem Geräusch zahlreicher Scheren, das aus dem Orchestergraben heraufklingt.

Adäquater hätte die Klangebene kaum sein können. Nowitz“ Komposition gab jeder einzelnen Szene eine Tiefenstruktur, der sich zu entziehen kaum möglich war. Denn es gelang ihm, die psychologische Dramaturgie und die szenischen Spannungsbögen der Oper in einer sehr eigenständigen und überzeugenden musikalischen Sprache zu fassen. Ungewöhnliche Spielarten und eher unklassische Instrumente wie Spielzeugklavier, Theremin oder eben die Scheren fielen darin nicht auf, da sie die absolut schlüssigen Klänge für den zu erzählenden Inhalt boten. Kongenial wurde die Uraufführung der Oper durch das Zusammenspiel aller Elemente, der Musik, des Textes und der Inszenierung, das von außerordentlich engagierten Darstellern und Musikern dargeboten wurde. Lene Zade

Lene Zade

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