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Kultur: Trotzdem brauchen wir Prinzipien

Der Theologe Gerhard Höls sprach in der Arche über den Suizid

Jährlich nehmen sich über eine Millionen Menschen weltweit das Leben: in der Europäischen Union sind es über 60 000 und in Deutschland etwa 12 000 Menschen. Die Dunkelziffer der Suizidversuche ist ungleich höher und wird hierzulande auf etwa 150 000 geschätzt. Diese Zahlen nannte am Dienstagabend der Berliner Theologe Gerhard Höls in seinem Vortrag „Der Suizid – Todsünde vor Gott oder nicht?“, den er in der Potsdamer Arche hielt. Er bezog sich dabei auf die Suizidstatistik der Technischen Universität Dresden vom vergangenen Jahr und machte deutlich, dass es ein Thema ist, das alle angeht.

Besonders besorgniserregend sei dabei die Zahl von 4599 Menschen unter 20 Jahren, die sich im Jahr 2006 das Leben nahmen, 440 davon allein in Berlin. Der 72-jährige überzeugte Katholik Höls stellte in seinem Vortrag die Frage nach den Wertigkeiten und ob sich die Selbsttötung – aus welchen Gründen auch immer – rechtfertigen lasse. Dabei stellte er seinen Reflexionen über den Suizid die Überlegung voran, dass „jeder Mensch latent in Gefahr steht, irgendwann der eigenen Lebensnot zu erliegen und Hand an sich zu legen, um die Spannung seines Lebens ... auf diese Weise selbst zu lösen.“ Er ging auch auf das sogenannte Suizidsyndrom – ein psychologischer Begriff, der die präsuizidale Phase der Einengung, der Aggressionsumkehr und der Suizidphantasien umschreibt – ein und machte so seinen Vortrag auch für Menschen, die nicht gläubig beziehungsweise konfessionell gebunden sind, durchaus hörenswert und nachvollziehbar. Denn der Begriff der Todsünde – einer Sünde schweren Grades, die immer gegen Gott gerichtet ist – kann Nichtgäubige ebenso wie religiöse Menschen, die „schon völlig allein mit sich selbst, isoliert von den anderen“ keine Antwort für ihr Leben mehr wissen, nicht davon abhalten, sich das Leben zu nehmen. Aber, da sprach dann der katholische Theologe und er hatte zu Beginn angekündigt, ausschließlich diese Position zu vertreten, beide christlichen Konfessionen lehnen im 5. Gebot – du sollst nicht töten, also auch nicht dich selbst – die Selbsttötung ab. Höls bezog sich in seiner Begründung nicht nur auf diese seit Jahrhunderten gleichgebliebene Auffassung, sondern erwähnte darüber hinaus Aussagen von renommierten Philosophen wie Sokrates, Platon und Aristoteles, die sich ebenfalls gegen den Suizid aussprechen.

Generell stellt der Suizid – vor dem Hintergrund der christlichen Moraltheologie – also eine Todsünde dar. Gleichwohl machte der Theologe, der auch Pädagoge und Philosoph ist, die bemerkenswerte Aussage, dass dies in „Ausnahmesituationen“ nicht zutreffe. Die hatte er gleich am Anfang als „psychologische oder psychiatrische Behinderungen des Verstandes“ geschildert und beschrieben, dass „Trauer, Furcht und Verzweiflung den Denkhorizont zu verdunkeln oder zu verlöschen vermögen.“ Vom Grad dieser Behinderung hänge demzufolge die mögliche sittliche Schuld ab.

Diese Haltung ermöglichte im Anschluss des engagierten einstündigen Vortrages eine teilweise emotionsgeladene und auch kontroverse Diskussion unter den zahlreichen Zuhörern. Bei der ebenfalls zu spüren war, dass dieses Thema vielen auf den Nägeln brennt und „Prinzipienreiterei“, wie es einer der Anwesenden nannte, nicht der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung gerecht werde. Und der insgesamt einen „Paradigmenwechsel“ mit Bezug auf den streitbaren Theologen Hans Küng einforderte. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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