zum Hauptinhalt
Singer-Songwriter-Blick. Der Potsdamer Liedermacher Ruben Wittchow.

© promo

Kultur: Triumph der weichen Seite

Der Potsdamer Liedermacher Ruben Wittchow ist für den Deutschen Rock&Pop-Preis nominiert. Fast wäre er Metaller geworden

Dass es nicht Metal, sondern Popmusik mit deutschen Texten geworden ist, erscheint Ruben Wittchow im Nachhinein ganz logisch.

Dabei hätte es für den Potsdamer Liedermacher, der in diesem Jahr für den namhaften Deutschen Rock&Pop-Preis in der Kategorie „Singer-Songwriter“ nominiert ist, auch ganz anders kommen können. Aufgewachsen ist er in Buckow, in der Märkischen Schweiz, als Sohn einer Pastorenfamilie. Sein Vater, Pfarrer der Baptisten-Gemeinde, spielte in einer Kirchenband. Keine klassische Kirchenmusik, sondern moderne Sachen. Als Ruben Wittchow sechs Jahre alt ist, hört er bei einem Kirchenkonzert zum ersten Mal ein Schlagzeug – und ist hin und weg. Allerdings war es damals nicht einfach, so ein Schlagzeug aufzutreiben. Es dauerte bis zum 12. Geburtstag: Da kam ein Westpaket von seinem Onkel, darin endlich ein Schlagzeug, „in Ekelgelb, so ein Discoteil“, lacht Wittchow. Weshalb er es kurzerhand weiß anmalte.

Und drauflos trommelte, Metal: Slayer, Sepultura, das waren die Helden der Jugend. Ruben mitten zwischen den Rabauken, die alle schon vier, fünf Jahre älter als er waren, die hatten schon Motorräder, am Wochenende ging es ins 30 Kilometer entfernte Herzfelde zur Disco. Auf den Gitarrenverstärkern stand „Vermona“, nur was schnell gespielt werden konnte, war auch gut. Zu Hause hört er Rias 2, entdeckt a-ha und Spliff – und spielt weiter Metal: „Man durfte ja seine weiche Seite nicht so zugeben.“

Dann die große Zäsur, die Katastrophe, die ihn noch Jahrzehnte beschäftigen wird: Ruben Wittchow hat als Beifahrer einen Autounfall, als er 16 ist, ein voll besetzter Wartburg prallt gegen einen Baum. Ein Freund und seine Schwester kommen dabei ums Leben, Wittchows Gesicht ist immer noch von zahlreichen Narben bedeckt, wie bei einem Boxer, der die Handschuhe irgendwann an den Nagel gehängt hat. In dieser dunklen Zeit hilft ihm Musik, natürlich: „Ich musste mich irgendwie ausdrücken“, sagt er, „da war ein Schlagzeug denkbar schlecht.“ Er fängt an, Gitarre zu spielen, es lagen ja genug davon zu Hause rum, ein Kraftakt für einen Schlagzeuger. Aber aufgeben kommt nicht infrage.

Es zieht ihn in die Stadt, nach Potsdam, Wittchow studiert Sozialpädagogik an der FH, wohnt aber in Golm im Wohnheim. Dort ist das Haus 7, bekannt als Musikerhaus: „Der Rest ging dann schnell.“ Er spielt Jazz und Blues, aber auch wieder Metal, trommelt und singt bei der Metalband Dream Diver – und in einer Police-Coverband namens Polis. Sänger Sting ist ein Idol. 1997 holt der ihn zufällig neben sich auf die Bühne im Berliner ICC und singt mit ihm. Am nächsten Tag in Golm glaubt ihm niemand die Geschichte, es gab ja noch keine Smartphones für Beweisvideos. Und immer öfter tritt er als er selbst auf, als Liedermacher. 2005 schließlich spielt er zur „Fête de la Musique“ im Filmcafé Melodie. Damals platzt der Knoten. Ab da gibt es nur noch Ruben, den Musiker.

Dass er jetzt für den Deutschen Rock& Pop-Preis nominiert ist, der am kommenden Samstag in Siegen verliehen wird, damit habe er dann doch nicht gerechnet: „Ich habe da einfach meine Platte hingeschickt, als Rohling, ohne Cover, ohne alles“, sagt er. Potsdam-West ist sein Stadtteil, man kennt ihn – auch wenn er eher unauffällig daherkommt, ein ruhiger Charakter mit dem für Singer-Songwriter so typischen verträumten Blick, einer, der es keine zwei Minuten schafft, ohne zu lächeln. Mittlerweile ist er verheiratet, hat zwei Kinder, und er lebt von der Musik. „Mischkalkulation“ nennt er das. Meist läuft es gut, er gibt viel Musikunterricht, spielt auch mal auf Hochzeiten, nimmt Kinderplatten im Studio auf. Und lernt das Studio-Handwerk: Mittlerweile hat er selbst eins in der „Scholle“ in Potsdam-West. Sein drittes Album „Liebesmedizin“, das im April erscheint, hat er selbst eingespielt und aufgenommen.

Klar, die Liebe: „Das Leben funktioniert ja nicht ohne.“ Vielleicht sei der Begriff etwas verbraucht, aber Liebe bestehe eben nicht nur aus Glitzer, sondern könne auch Schmerz sein. Und die Zuhörer bekommen schnell mit, ob etwas ernst gemeint oder eine Phrase sei. „Früher habe ich noch viel verklausulierter geschrieben. Mit dieser Platte habe ich versucht, alles auf die Essenz herunterzubrechen – im positiven Sinne.“ Sein drittes Album sei so auch das beste geworden. „Ich möchte nicht den anderen das Feld überlassen, die sowieso schon dran sind“, sagt Wittchow. Das klingt selbstbewusst, und es schwingt auch Hoffnung mit: „Jetzt ist vielleicht auch mal meine Zeit gekommen.“ Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

Zur Startseite