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Kultur: Trippeln bei Tiefdruck

Die Premiere des neuen Stücks von Kombinat

Drei Nadeldrucker im Scheinwerferlicht. Am Rande der Bühne bringen sie kratzig-fiepende Töne hervor, wie Instrumente eines Trios. Ein Leuchtstreifen über ihnen blitzt ab und zu auf. Vier Tänzer, Männer und Frauen, stehen aufgereiht im Dunkel der Bühne im Businesskostüm. Sie pusten jeder für sich einen weißen Luftballon auf. Der Rhythmus verstärkt sich, die Ballons prall bis kurz vorm Platzen. Doch dazu kommt es nicht. Auf dem Höhepunkt entweicht die Luft, die Ballons taumeln zu Boden.

So beginnt das neue Stück des Künstlerkollektivs Kombinat „Druck“, poetisch und wirkungsvoll. Thema ist ein Naturphänomen, etwas, das in jedem Moment seines Lebens auf dem Menschen lastet: 10 000 Kilogramm Luft. Zu viel Druck bringt Explosion hervor oder eben der Druck lässt, wenn es zu einer Gegenbewegung kommt, wieder nach. Die Choreografin Paula E.Paul und der Medienkünstler Sirko Knüpfer als Kombinat gehen seit längerem den unser aller Alltag beherrschenden Phänomen nach und haben bereits im Januar eine Videoinstallation im T-Werk und im Rechenzentrum vorgeführt. Nun also der zweite Teil des Projekts, der am Freitag in der fabrik Premiere hatte: aus dem filmischen Material der Interviews mit Menschen, die alle mit Druck arbeiten – vom Wetterforscher über den Arbeiter in einer Druckerei, von der Yogalehrerin über den Wasserballer bis hin zu dem Laubpuster soll ein Bühnenstück aus Tanz- und Filmtheater werden, zu dem Mix aus Sprache, Bild, Ton und technischer Spielerei kommt nun noch die Bewegungskunst hinzu.

In einzelnen Szenen stellen die vier Tänzer (David Pallant, Risa Kojima, Sakurako Awano und Riccardo de Simone) auf der Bühne allerlei Situationen vor, in denen Druck unser gesellschaftliches Leben bestimmt: In Form von Leistungsdruck etwa, den Lehrer auf Schüler übertragen, oder Gruppendruck – versinnbildlicht durch ein buntes Tuch, das die Tänzer aus der Hosentasche zücken und die Zugehörigkeit zu anderen zeigt, die bis ins Absurde geführt wird. Das ist zum Teil effektvoll, witzig und einfallsreich, aber oft überzeugen die Szenen auch nicht. Dann wirkt „Druck“ wie ein gehetztes Dauertrippeln – ohne rechtes Timing und Rhythmus, ohne Druckaufbau und -abfall auszukosten, sozusagen ohne die Hochs und Tiefs einer gelungenen Dramaturgie; mit vielen visuellen und klanglichen Elementen, aber, um die Wortspiele fortzuschreiben, meist ohne Eindruck zu hinterlassen.

Das Stück mutet wie eine experimentelle Reise an, wie das Zwischenstadium einer Recherche. Das reine Wortassoziieren führt einen denn auch immer wieder zurück in die Welt der Sprache. Da gibt es den Gesichtsausdruck, den Fingerabdruck, den Handdruck - der die Tänzer etwa aneinander bindet und nicht mehr loslässt. Überhaupt macht Tanz, im Stile vom klassischen Ballett bis zum Modern Dance und zum Breakdance, dabei eigentlich nur etwas sichtbar. Zum Druck in der Arbeitswelt gibt es maschinell anmutende Gesten, zum Wasser auf der Leinwand gehören fließende Bewegungen. Statt ambivalent wirken die Szenen eher schaubildartig. Die bewegbaren Stellwände, mal Projektionsleinwand für Videoeinspielungen, mal Tafel zum Bekritzeln, verstärken noch den Eindruck, dass die Bühne nur die Funktion des Veranschaulichens übernimmt. Und was liegt jenseits des Abbildens, jenseits der Bespiegelungsschleife?

Aus der schweren Papierrolle im Film über die Druckerei wird am Ende ein Brief auf der Bühne in der Hand einer Tänzerin – Abschiedsbrief oder Kündigungsschreiben? –, wird ein gebastelter Flieger und schließlich flattern weiße Blätter vom Bühnenhimmel. Mit Druck lässt sich viel spielen. Doch schließlich verpufft er auch wieder. Grit Weirauch

Weitere Aufführungen am Freitag, 15. und Samstag, 16. September um 20 Uhr, sowie Sonntag, 17.9. um 16 Uhr in der fabrik

Grit Weirauch

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