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Kultur: Treffliche Töne einer Tragödin „Vocalise“-Schmankerl mit Schönberg-Melodram

„Guter Mond, du gehst so stille“, heißt es in dem bekannten Kinderschlaflied. Sein zarter Schimmer kann aber auch Dichtern und Komponisten künstlerische Inspirationsquelle für mondmystische Beschäftigungen sein.

„Guter Mond, du gehst so stille“, heißt es in dem bekannten Kinderschlaflied. Sein zarter Schimmer kann aber auch Dichtern und Komponisten künstlerische Inspirationsquelle für mondmystische Beschäftigungen sein. Arnold Schönberg (1874–1951) zum Beispiel ließ sich vom Mond zu seinem melodramatischen Sprechgesangszyklus „Pierrot lunaire“ inspirieren – dreimal sieben skurrile und somnambule Gedichten aus der gleichnamigen Lyriksammlung des belgischen Dichters Albert Giraud in einer Übertragung des Berliner Schriftstellers Otto Erich Hartleben.

Die Titelgestalt, komisch-tragische Figur mit Wurzeln in der weitverzweigten Commedia-dell’arte-Familie, ist hoffnungslos verliebt in die lebenslustige und dominante Colombina. Um sie zu gewinnen, benutzt er den Mond als sein ganz spezielles Verführungsmittel. Mit mondestrunkenen Weingelüsten nebst Liebesverzückungen beginnt der erste Teil, während der zweite von Verzweiflung und Enttäuschung berichtet. Im dritten Teil schließlich versöhnt sich der nächtliche Pierrot mit Heimweh, Vergangenheit und Tradition.

Doch mit Letzterer steht Arnold Schönberg eher auf Kriegsfuß: „Die Klänge werden hier ein geradezu tierisch unmittelbarer Ausdruck sinnlicher und seelischer Bewegungen.“ Sie sind atonal, aber noch nicht in der Zwölftontechnik angekommen. Von der Uraufführung am 16. Oktober 1912 im Berliner Choralion-Saal ist der Schriftsteller und Psychoanalytiker Alfred Döblin sehr angetan: „Sie fesselt ungemein, diese Musik; es sind Klänge, Bewegungen drin, wie ich sie noch nicht gehört habe; bei manchen Liedern hatte ich den Eindruck, dass sie nur so komponiert werden können.“

Diese Meinung schien auch das Publikum beim Vocalise-Konzert am Mittwoch in der Französischen Kirche am Bassinplatz zu teilen, das dem Vokalfestival eine ganz besondere Facette verlieh. Diesem vielschichtigen Melodrama, das zwischen schneidender Klangschärfe, hysterischem Taumel und lyrischer Intimität pendelt, nehmen sich unter Leitung von Ud Joffe Mitglieder des Neuen Kammerorchesters Potsdam und die Altistin Regina Jacobi mit hinreißender Intensität im Ausdruck an. Faszinierend, wie Letztere als exzellente Gesangsdeklamatorin ihren extrem schwierigen Solopart bravourös meistert. Wo erforderlich, trifft sie das kindlich-naive Staunen genauso wie den somnambulen Wahnsinn oder die Exaltiertheit einer extrovertierten Diva. Doch auch mit artifiziellem, debil-seufzendem Gleiten weiß sie den vielen, von aphoristischer Kürze geprägten Nummern eine beklemmende Wirkung zu verleihen.

Hingebungsvoll sorgen die Instrumentalisten auf Flöte, Piccolo, Klarinette und Bassklarinette, Violine und Bratsche, Cello und Klavier in mannigfaltigen Kombinationen für eine enorme Steigerung der diversen Stimmungs- und Seelenbeschreibungen. Mitunter decken ihre engagiert erzeugten Klänge allerdings den Sprechgesang zu. Zwischen die drei „Pierrot“-Teile sind zwei Sätze aus Bela Bartoks „Contrasts“ für Violine, Klarinette und Klavier eingeschoben, die einer stimmungsvollen Mondlichtbeschreibung auch die Ängste vor Spukgestalten mitliefert.Peter Buske

Letztes Konzert der Vocalise:„Marienvesper“, Sonntag 17 Uhr in der Erlöserkirche

Peter Buske

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