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Kultur: Traumverloren, skurril-witzig und seelenvoll Jochen Kowalski in der Friedenskirche

Sein Ruf lockt noch immer und die Fangemeinde folgt ihm unbeirrt nach. Jüngst in die Potsdamer Friedenskirche, wo der legendäre Altus Jochen Kowalski zusammen mit dem Carl-Maria-von-Weber-Ensemble der Staatskapelle Berlin am Freitag eine Spurensuche in den Gefilden der Romantik unternahm.

Sein Ruf lockt noch immer und die Fangemeinde folgt ihm unbeirrt nach. Jüngst in die Potsdamer Friedenskirche, wo der legendäre Altus Jochen Kowalski zusammen mit dem Carl-Maria-von-Weber-Ensemble der Staatskapelle Berlin am Freitag eine Spurensuche in den Gefilden der Romantik unternahm. Mit dem Programm „Ich hab die Nacht geträumet“ kündet der Künstler von des Menschen Sehnsüchten, Haltsuche und Seelengeheimnissen. Romantik sei als „Nebenprodukt der Anti-Napoleon-Ära“ entstanden, so der Sänger als anekdotenreiche Plaudertasche. Selbst Könige wie Friedrich Wilhelm IV. waren vor ihr nicht gefeit, teilt Kowalski mit. Über dessen Gruft stimmt er nun seine Romantik-Hommage an.

Eingerahmt wird sie von der Volksweise „Im Wald und auf der Heide“. Die kommt daher mit viel Horngeschmetter (Jonas Finke), ornithologischem Flötengezwitscher (Christiane Weise), kecken Schlagwerkereien (Andreas Haase), bratschenweicher Unterstützung (Katrin Schneider) sowie gestrichener wie prägnant gezupfter Kontrabassassistenz (Alf Moser). Das sorgt für prächtige Einstimmung. Witzig gemixt sind zwei Hochzeitsmärsche von Felix Mendelssohn Bartholdy und Richard Wagner, schön sentimental, aber nicht kitschig tönt Robert Schumanns „Träumerei“. Nach und nach finden alle Instrumentalisten zusammen, nachdem Klarinettist Matthias Glander und Pianist Uwe Hilprecht – der auch alle Arrangements verfertigt hat – die gefühlsinnige Melodie durch den Raum haben schweben lassen.

Nicht weniger raffiniert und geschmeidig umhüllen sie die noch immer unverwechselbare Stimme von Jochen Kowalski, wenngleich altersbedingte Abnutzungserscheinungen nicht zu überhören sind. Geschmeidig wabernde und glanzvolle Stimmenglut hat sich merklich abgekühlt. Dafür begeistert er mit schier überbordender Gestaltungslust, die jedoch auch nicht vor Ausdrucksübertreibungen zurückschreckt. Den Liedern von Robert Schumann bekommt das nicht sonderlich gut, vielen Raritäten schon. Dazu gehören drei Lieder aus Goethes „Faust“ in der Vertonung des 18-jährigen Richard Wagner, wobei Kowalski besonders das „Lied vom Floh“ mit schneidendem Witz zu gestalten versteht. Beklemmend intensiv die „Erlkönig“-Vertonung durch Johann Friedrich Reichardt, die von Goethe mehr geschätzt wurde als die von Franz Schubert. Dessen Melodram „Abschied von der Erde“ breitet er auf klangvoll gesprochene Weise aus. Genauso prononciert trägt er den melodramatischen Scherz „Der Fluch der Kröte“ von Anton Winternitz auf einen skurrilen Text von Gustav Meyrink vor, der in Form einer indischen Legende schildert, wie sich die verachtete Kröte an dem arroganten Tausendfüßler rächt. Hinreißend diese operntheatralischen Deutungen: einprägsam in ihrer geflüsterten bis lästerlichen Diktion, wodurch der Sänger sich zu jener immer seltener werdenden Spezies gehörig erweist, die man im Theaterjargon auch als „Rampensäue“ bezeichnet.

Vervollständigt wird der Romantikausflug durch Webers Concertino für Klarinette op. 26, von Glander mit weichem Ton ausdrucksstark vorgetragen, und Schuberts, von Christiane Weise voller virtuoser Brillanz geblasenen Flötenvariationen über ein Thema aus dem Müllerliedern – jeweils begleitet von den anderen Ensemblemitgliedern. Peter Buske

Peter Buske

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