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Kultur: Tradition einer intellektuellen Wärmestube

„Kleine Formate Nr. 10“ in der SperlGalerie mit großen Überraschungen

„Kleine Formate Nr. 10“ in der SperlGalerie mit großen Überraschungen Von Frank Jast Wenn zehn Jahre lang zur gleichen Zeit immer das Gleiche passiert, mit fast immer den gleichen Leuten, dann wird das irgendwann entweder stinklangweilig oder eine gute Tradition. Im allerbesten Falle schließt das eine das andere aber nicht aus. In der Sperl Galerie, wo die Kunst natürlich nach Brot geht, werden einmal im Jahr die Künstler gebeten, kleinere Brötchen zu backen, um zu guter Letzt vielleicht durch günstige Verkaufszahlen wieder groß rauszukommen. Das heißt, jedes Jahr sind die Künstler der Galerie angehalten, Kunstwerke abzuliefern, die den Rahmen von sechzig mal sechzig Zentimetern nicht überschreiten. Das Motto könnte also lauten: Große Kunst auf kleinem Raum. Und wenn der Abend der Vernissage gut läuft, ist am Ende nicht nur das Schmalz ausgelassen. Das lecken sich dann nicht wenige von den zehn Fingern, an denen sie abgezählt haben, ob es vielleicht noch für einen kleinen Pfennig reicht oder jene handschmeichelnde Miniatur „M 23“ von Rainer Fürstenberg damit angezahlt werden kann. Während sich immer mehr Mitmenschen in virtuellen Räumen verlieren, drängen sich jedes Jahr eine Vielzahl von ihnen in diese eher bescheidene Heimatstube für Kunstbeflissene, um Handgemachtes anzuschauen und um dann konsterniert festzustellen, dieser Scheuerecker passt nun wirklich nicht zu unseren neuen Designermöbeln. Schade! Aber diese so wunderbar meditativ gemalte Schale des Arno Schmetjen würde vielleicht gar nicht so unübel mit den neuen bleikristallenen Cognac-Schwenkern in unserer Mahagoni-Hausbar korrespondieren. Aber was treibt Leute zu Hauf immer wieder zur Vorweihnachtszeit in diese Galerie, in diesen beflissen bescheidenen Kunsttempel? Ist es der tief verborgene Glaube, den der französische Schriftsteller Péladan beschwor: „Künstler, du bist Priester: Die Kunst ist das große Mysterium, und wenn dein Bemühen zu einem Meisterwerk führt, so steigt ein Strahl des Göttlichen wie auf einen Altar herab.“ Erhoffen die Besucher also z.B. vom stillen Versenken in die verzauberten Landschaften einer Squaw Hildegard Rose Vergebung für ihren Anteil an der Gemeinheit dieser Welt? Holen sie sich von Rainer Sperls hintersinnigen Skulpturen Absolution für ihre heimlichen sexuellen Obsessionen? Beten sie um die Kraft, auch einmal so die „Sau rauslassen“zu können, wie es vergönnt ist einem Malte Brekenfeld in seinen Bildern von überbordender Sinnlichkeit? Bitten die Beschauer vor den naiven Zeichnungen eines Moritz Götze um die Rückkehr des Kindes, das in uns verloren gegangen scheint? Schenken ihnen die hinter Glas gemalten Motive „ausziehen“, „waschen“, „cremen“ einer Astrid Germo die Gnade, sich einmal ohne schlechtes Gewissen genüsslich der Melancholie hinzugeben, den Weltschmerz bis zur Neige auszukosten? Aber vielleicht sind die Beschauer auch unheilbar abhängig von der Sucht nach einer Kunst, in der sie ihren Fantasien die Zügel schießen lassen können. „Die Fantasie ist die einzige Möglichkeit, der Ereignislosigkeit der Moderne zu entkommen“, lässt Stephen Spielberg in einer seinen lichtesten Stunden wissen. Gesucht wird das Abenteuer in den verschlungenen Linien von „Im Lichte der Zärtlichkeit glüht ein kalter Fisch“ eines Harry Mohr, gestürmt das gleißende Rot der Dagmar Misselhorn, getaucht in den züngelnden Farblandschaften einer Agnes Sioda, genüsslich gewatet in den berserkernden Strukturen einer Mona Höke und einer Olga Maslo, angeheult die wunderbaren Mondsicheln eines Matthias Körner. Vielleicht lieben nicht wenige an diesen Ausstellungseröffnungen ja eigentlich nur die Enge, die es ermöglicht, mit anderen Menschen in Berührung zu kommen, ohne dass die eigene Perversion für bedrängende Menschenaufläufe ruchbar werden kann, die heimliche Sehnsucht, in der Masse aufgehoben zu sein, weil es in ihr auch so gemütlich kuschelig werden kann. Vielleicht holt man sich so verschämt verstohlen wie im Vorbeigehen ein Stück jener Zärtlichkeit, Zuwendung und Wärme, die im Alltag oft genug so schmerzlich vermisst wird. Während draußen der kalte Wind der Agenda 2010 auch noch in die letzten Ecken der Ruine des deutschen Sozialstaates fegt, versammelt sich die Gemeinde der Kunstinteressierten heimelig in der Sperl Galerie, ihrer intellektuellen Wärmestube, der Sozialstation für kulturell Bedürftige. Und wie sie dort zur Vernissage alle so schön dicht gedrängt zusammenstanden, einander sehr nahe waren, spürten sie da vielleicht nicht auch, wie sich dieser Duft breit machte, dieser Stallgeruch, der auch erwartungsvoll der heiligen Familie in Bethlehem in die Nase gestiegen sein muss? Kleine Formate Nr. 10 in der SperlGalerie, Mittelstraße 30, bis 21. Dezember, Mittwoch bis Sonntag 12-18 Uhr.

Frank Jast

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