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Vertrieben. Ursula Karusseit war mit ihrem 1968 gedrehten Film „Wege übers Land“ zu Gast im Filmmuseum. „Ich habe danach nichts mehr gemacht, was wahrhaftiger gewesen wäre“, sagte die Schauspielerin.

© Manfred Thomas

Kultur: „Total ehrlich, total verlogen“

„Wege übers Land“ und der „Mythos DDR ohne Vertriebene“ im Filmmuseum diskutiert

Ursula Karusseit war fünf Jahre alt, als sie mit Mutter, Schwester und weiteren Verwandten die Flucht aus dem westpreußischen Elbing erlebte. 1968 spielte die Schauspielerin in dem fünfteiligen DDR-Fernsehfilm „Wege übers Land“ die Bäuerin Gertrud Habersaat: eine Frau, die in einem ähnlichen Alter war wie ihre Mutter zur Zeit der Vertreibung.

Das Kino ist bis zum letzten Platz gefüllt, als die Schauspielerin und Regisseurin am Donnerstagabend im Filmmuseum zur Podiumsdiskussion „Mythen der Moderne in Brandenburg – Mythos DDR ohne Vertriebene“ erscheint und anschließend der dritte Teil von „Wege übers Land“ (Regie: Martin Eckermann, 1968) läuft. Von Moderator Frank Herold – Experte für das östliche Europa bei der „Berliner Zeitung“ – befragt, wie viel von ihrer Mutter in dieser Figur der Gertrud Habersaat stecke, sagte die Schauspielerin, dass die Erfahrungen ihrer Mutter ihr bei der Gestaltung der Rolle sehr geholfen hätten. „Meine Mutter erzählte mir viel auch zu Situationen während der Flucht, an die wir Kinder später nur wenige Erinnerungen hatten. Das konnte ich 1968 gut verwerten.“

Für Professor Michael Schwartz vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin bewegt sich der Film in einem Spannungsfeld zwischen „total ehrlich und total verlogen“. Als wahrhaftig sieht er die Beschreibung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse im Kleinen, dargestellt im Verhältnis zwischen den Bauern und den „Habenichtsen“. Wenig beschrieben wurden aus seiner Sicht die Fluchtereignisse. Seine These, dass im Film die Gräueltaten der sowjetischen Armee – gemeint waren die Vergewaltigungen als permanente und massenhafte Bedrohung – nicht angesprochen, also tabuisiert wurden, forderten nicht nur den Widerspruch von Ursula Karusseit heraus. Sie verwies auf die Ahndung von Vergewaltigungsversuchen seitens der Armeeführung.

Die Diskussion über die mit dem Thema „Vertriebene“ in der DDR verknüpften Tabus ließ erkennen, wie drängend der Gesprächsbedarf darüber ist, aber auch, wie weit das Feld gesteckt ist, das es noch zu beackern gilt.

Auf die Replik eines sich als Historiker vorstellenden Zuhörers, der in dem Gespräch auch eine grobe Verharmlosung des Vergewaltigungsunrechts sah, antwortet eine andere Zuhörerin mit eigenen Erfahrungen bei der Evakuierung von Stettin und erwiderte, bis jetzt sei noch nicht gesagt worden, dass die sowjetischen Truppen aus einem zerstörten, verwüsteten Land gekommen seien, dass von den Deutschen verwüstet worden war.

Bärbel Dalichow, die Direktorin des Filmmuseums sah darin, dass sich in der DDR die Vertriebenen nicht nach der alten Heimat sehnen durften, Trauer und Sehnsucht nach dem Verlorenen also ausgeklammert wurde, ein Tabu. Ursula Karusseit vermochte nicht eindeutig zu sagen, ob ihre Eltern den Verlust der alten Heimat betrauert hätten. Doch sie erinnerte sich an Erzählungen ihrer Mutter, in denen stets von frischem Kuchen die Rede war, dessen Duft den Raum füllte.

Professor Schwartz charakterisierte auch das Problem der Integration der Vertriebenen, die in der Sowjetischen Besatzungszone zunächst Umsiedler, später in der DDR dann ehemalige Umsiedler genannt wurden, als ein stark unterschätztes: „Es gab in den ersten acht Jahren, davon in den ersten vier Jahren stark angeleitet von der sowjetischen Besatzungsmacht, die keine Rückkehrorientierung der Vertriebenen wollte, relativ starke, aber nicht funktionierende Versorgungs- und Integrationsbemühungen. Noch einmal gab es dann in der frühen DDR-Phase bis etwa 1952/53 eine zweite Welle sozialpolitischer Integration.“ Nach dem Abbruch dieser Bemühungen sei das Thema jedoch sozialpolitisch tabuisiert worden. „Es ist nicht so, dass dieses Problem in der DDR-Gesellschaft keine Rolle mehr gespielt hätte. Aber sozialpolitisch wurden die Vertriebenen seit etwa 1953 behandelt wie alle anderen auch. Und das war für viele, denen es schlechter ging als den meisten anderen, natürlich eine schlechtere Behandlung.“

Die abschließende Frage von Frank Herold, wie sie nach vierzig Jahren den Film „Wege übers Land“ sehe, konnte Ursula Karusseit ganz klar beantworten: „Ich habe danach nichts mehr gemacht, was wahrhaftiger gewesen wäre. Außer vielleicht ‚Daniel Druskat’.“

Die nächste Veranstaltung in der vom Deutschen Kulturforum östliches Europa durchgeführten Reihe „Erinnern unerwünscht. Vertriebene in der DDR“ findet am 20. Oktober um 19 Uhr im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte statt. Thema: „Trauma. Repression. Integration. Vertriebene in der SBZ/DDR.“

Gabriele Zellmann

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