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Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow in Ehren ergraut. 

© A. Klingert

Tocotronic im Waschhaus Potsdam: Der Inbegriff inszenierter Lustlosigkeit

Warum ist Tocotronic eine so erfolgreiche Band? Die Antwort gaben die Musiker bei ihrem ausverkauften Konzert im Waschhaus Potsdam. 

Potsdam - Tocotronic ist eine sehr launische Band. So richtig weiß man nie, was man bekommt, wenn man sich auf ein Konzert einlässt: Es könnte ein lustloses Herunterspielen werden, wie beim legendären Hitze-Festival „Greenville“ im Jahr 2013, bei dem die Hamburger Band mit einem denkbar saft- und kraftlosen Auftritt ihren Glanz verspielte. Oder es kann so sein wie am Freitagabend im Waschhaus: Ohne Vorband, ohne Schnörkel, und auch ohne überflüssige Promotion ihres neuen Albums „Die Unendlichkeit“ - einfach nur ein zuverlässiger Blick zurück in die Geschichte der Band. Wenn man verstehen wollte, warum Tocotronic zu Recht so einen Erfolg verbucht, konnte man das an diesem Abend.

Pathetischer Beginn des Tocotronic-Konzerts

Dabei war der Beginn des Konzertes mit einem cineastischen Intro schon so pathetisch, dass einem Unheil schwante: Sollte hier etwa geblendet werden? Aber keineswegs, als Opener diente ein Klassiker: „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit dafür“. Und gleich noch ein Griff in die Schatztruhe: „Electric Guitar“, die Hymne von Kindheit, Sex und Rock’n’Roll – und dann mit „Let there be Rock“ gleich noch einen hinterher. Bei „Hi Freaks“ war dem Publikum in der ausverkauften Waschhaus-Arena klar, wohin die Reise geht.

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Was für ein Zeitlupenpathos, das Tocotronic von der Bühne herunterlaufen ließ, schwer-klebrige Hymnen des Scheiterns wie „Kapitulation“, und irgendwie auch der halbherzige Versuch konzertierter Langeweile. Keine Band kann diese Inszenierung des Langweiligen so wunderbar konterkarieren wie die Hamburger, die in den 90er-Jahren neben Bands wie Blumfeld und Die Sterne die prägende Hamburger Schule initiierten: weder dafür noch dagegen zu sein, der Inbegriff der bekifften Lustlosigkeit, die kaum noch Raum für Dramatik ließ. Aber wer braucht schon Drama, wenn man den Tag besser im Bett liegend verbringt. Den perfekten Soundtrack gab es ja dazu.

Dirk von Lowtzow: Eine menschgewordene Karikatur seiner selbst

Das funktionierte auch optisch, ganz besonders an diesem Abend: Sänger Dirk von Lowtzow, der theatralisch die Arme in die Luft hob, um doch wieder abzuwinken, seine in Ehren ergraute Schüttelsträhne aus der Stirn wischt, wohin sie stets wieder zurückfällt, eine menschgewordene Karikatur seiner selbst. Oder Bassist Jan Müller, der sich mit schlafwandlerischer Unsicherheit abmüht – und dabei doch so präzise in die Saiten greift. Und Gitarrist Rick McPhail, der einer Schildkröte gleich durch die viel zu große Brille ins Publikum strahlte. Geschmeidig läuft die Band, wie eine gut geölte Maschine, die intensivierte Langsamkeit.

Und doch hat diese inszenierte Lustlosigkeit immer etwas Lyrisch-Didaktisches, weil es eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzt. 

Nicht umsonst ist eine ganze Generation damit aufgewachsen, mit dieser nerdigen Attitüde, die doch nur oberflächlich negativ ist. Was bleibt von diesem Abend, der in einer ausgewachsenen Zugabenliste endet, ist die unterschwellige Sehnsucht danach, dass deutsche Popmusik endlich wieder so werden möge wie in den goldenen 90ern. Aber nein, jede Zeit bekommt das, was sie verdient. Wir bekommen eben Bushido und Kollegah. Wahrscheinlich völlig zu Recht. 

Oliver Dietrich

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