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Kultur: Tiefere Schichten der Erinnerung

Er machte „Schwerter zu Pflugscharen“ bekannt: Zum Gedenken an den Künstler Herbert Sander, der heute in Kleinmachnow beigesetzt wird

Es war Pfingsten. Zeit, um einen Ausflug ins Grüne zu unternehmen. Das Künstlerehepaar Karin und Herbert Sander verstaute Reisetaschen und Proviantkorb im Pkw, und schon ging es los. Übers Land, in die Gegend um Lindow und Rheinsberg. Ein Flecken Erde, das durch seine landschaftlichen Reize für sich einnimmt – aber auch durch seine Historie, die eng mit Preußen verbunden ist.

In Lindow entdeckten wir damals während eines Spaziergangs zufällig einen jüdischen Friedhof, von Wildwuchs umgeben. Die Zeichen der Erinnerung und des Gedenkens waren somit fast ausgelöscht.

Der Maler und Grafiker Herbert Sander fertigte gern vor Ort Skizzen an. Das Erlebte wurde dann im Atelier auf Aquarelle und Gemälde gebannt. Zeitlebens hat Sander Motive der märkischen Landschaft gemalt, aber nicht abgemalt, sondern in steter Zwiesprache mit sich immer aufs Neue gestaltet.

Vielleicht wuchs in diesem Moment in Lindow bei Herbert Sander der Entschluss, sich künstlerisch den jüdischen Friedhöfen in der Mark Brandenburg zu widmen. Geredet hat er darüber damals noch nicht. Er malte stets mit schöpferischer Unruhe, ohne Hektik zu verbreiten. Noch bei schwerer Krankheit stand er im vergangenen Jahr vor seiner Staffelei in seinem Stahnsdorfer Atelier, um sich künstlerisch zu beschäftigen.

Am 4. Januar ist der vor gut 79 Jahren Geborene nach schwerer Krankheit in Stahnsdorf verstorben. Am heutigen Freitag soll er im kleinen Kreis auf dem Waldfriedhof in Kleinmachnow beigesetzt werden.

Aus Nordhausen, der kleinen Stadt im Vorharz, kam er in die Stadt an der Havel. An der Fachhochschule Potsdam-Berlin studierte er Grafik und Malerei. Zunächst führte ihn sein Berufsweg in die Babelsberger Spielfilmstudios der Defa. Ab 1967 verdiente er dann ausschließlich als freischaffender Künstler „sein Brot“. Herbert Sander galt als fantasievoller Gestalter von Kunstausstellungen, Katalogen und Plakaten.

Dass er der grafische Gestalter des in der DDR berühmt gewordenen und bei den SED-Funktionären verhassten Emblems „Schwerter zu Pflugscharen“ war, darüber hat er kaum gesprochen. Herbert Sander wollte sich in seinem Freundeskreis und darüber hinaus nicht wichtig machen. Seine Abneigung gegenüber allem Militaristischen und Diktatorischen war bekannt. Wir sprachen oft darüber. So entsprach er gern der Bitte der evangelischen Landesjugendpfarrer in der DDR, das Friedenssymbol-Emblem zunächst als Lesezeichen und später als Stoffaufnäher in eine grafische Form zu bringen.

Doch als ihr Schöpfer hat er sich nicht gesehen. Die Vorlage fanden die kirchlichen Ideengeber vor dem UN-Hauptgebäude in New York, in der Plastik des sowjetischen Bildhauers Jewgenij Wutschetisch. Der Künstler zeigt einen Schmied, der ein Schwert in eine Pflugschar umarbeitet. Für die Landesjugendpfarrer und Oppositionellen in der DDR war dieses Symbol der Leitgedanke ihres Protestes gegen die wachsende Militarisierung in Ost und West sowie gegen die Einführung des Wehrkundeunterrichts an ostdeutschen Schulen.

Die Plastik sprach das aus, was bereits beim Propheten Micha im Alten Testament vorausgesagt wurde: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Spieße zu Sicheln machen und nicht mehr lernen, Krieg zu machen.“ Der Aufnäher wurde in der DDR an Jacken und Taschen tausendfach getragen, vor allem von Jugendlichen. Sie mussten aber mancherlei Schikanen seitens der Schulleitungen, der Volkspolizei oder auch der Staatssicherheit über sich ergehen lassen.

Am liebsten wandte sich Herbert Sander seiner eigenen Kunst zu. Gern zeigte er in seinem Atelier dann eine Suite von neuen Bildern, streng geformt, herb in der Vermittlung des Schönen, frei von Effekten, immer auf das Wesentliche seiner Beobachtung bedacht, straff komponiert und im Auftrag der Farben weitgehend flächig-transparent. Es sind vor allem Landschaften, die er in der Nähe seines Wohnortes und in der Ferne während seiner Reisen erlebte. Also nicht nur das Märkische, sondern auch Berge und Seen, Pyramiden und Wüsten in Ägypten oder Norwegen. Er betrachtete die Bilder selbst mit gesammelter Aufmerksamkeit, selbstkritisch und auf den Sprung, hier und da noch einmal ein Detail zu verändern.

Im Herbst des vergangenen Jahres freute er sich, dass er mit seinen Bildern an einer Ausstellung über jüdische Friedhöfe in Perleberg teilnehmen konnte. Es sollte jedoch die letzte sein. Schon vor der politischen Wende 1989 hatte er sich künstlerisch mit diesen Friedhöfen, den „Häusern des Lebens“, auseinandergesetzt. Er reiste durch die Mark Brandenburg und darüber hinaus, ging auf Spurensuche und fand erhebliche Lücken durch Zerstörung und Verwahrlosung, die der Nationalsozialismus beziehungsweise die DDR hinterließen. Verwitterte Inschriften musste Herbert Sander mühevoll entziffern.

Herbert Sander schrieb Tagebücher über seine Besuche, fotografierte, zeichnete, aquarellierte und fertigte Collagen an. Mit diesem geschlossenen Kunstwerk, das auch als Katalog publiziert wurde, rührte der Maler und Grafiker an tiefere Schichten unseres Gedenkens. Auf diese Weise gelang es Herbert Sander, in seinem künstlerischen Werk Landschaft und Geschichte stimmig und eindrucksvoll aufzugreifen und zu vereinen. Und wenn es sein musste, machte er auch auf aktuelle Gefährdungen aufmerksam: wie bei den Schwertern zu Pflugscharen.

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