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Kultur: „Theos Geschichte“

Bisher unbekannte Fontane-Briefe in der Villa Quandt vorgestellt

Wie gut, dass es zu Theodor Fontanes Zeiten das Telefon noch nicht gab. Obwohl der deutsche Erfinder Phillip Reis bereits 1860 entscheidende Fortschritte bei der elektrischen Sprachübermittlung machte, war doch das Briefe schreiben noch die vorherrschende Form der privaten Kommunikation. Der Dichter, der zu den fleißigsten und produktivsten Briefschreibern seiner Zeit gehörte, hinterließ mit ihnen einen wertvollen Bestandteil seines literarischen Gesamtwerkes: auch, weil er in ihnen plaudernde Leichtigkeit mit treffsicherer Prägnanz und Schärfe der Beobachtung mit kritischem Urteil auf unverwechselbare Weise verband.

Am Mittwochabend präsentierten das Potsdamer Theodor-Fontane-Archiv und die Staatsbibliothek zu Berlin in der Villa Quandt eine sensationelle Neuerwerbung: ein Konvolut von 104 bislang verschollenen eigenhändigen Briefen Theodor Fontanes an seinen Sohn Theodor, der von 1856 bis 1933 lebte. Über Theodor junior, den der Vater als „Programm-Menschen“ und „Prinzipienreiter“ beschrieb und dessen Züge er der Figur des Baron Innstetten aus „Effi Briest“ verliehen haben soll, weiß man bisher wenig. Er galt als klug, nüchtern und ehrgeizig, war ein erfolgreicher Jurastudent und machte Karriere in der preußischen Heeresintendantur. Eine große äußerliche Ähnlichkeit mit seinem Vater prädestinierte ihn dazu, den Bildhauern Max Wiese für das Fontane-Denkmal in Neuruppin und Max Klein für das im Berliner Tiergarten Modell zu stehen.

Anhand der jetzt der Forschung zugänglichen Briefe, deren wissenschaftliche Auswertung einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wird sich zeigen, welche Rolle der Sohn in der Familie und in des Dichters „Werkstatt“ wirklich gespielt hat.

Das jetzt öffentlich vorgestellte Briefkonvolut, das weit mehr als 90 Prozent aller heute bekannten Briefe Fontanes an seinen Sohn enthält und das aus der Nachlass-Versteigerung des Berliner Auktionshauses Meyer & Ernst seit Oktober 1933 bekannt ist, wurde erst im Juni 2007 vom Fontane-Archiv und von der Staatsbibliothek zu Berlin gemeinsam erworben. Dabei entscheidend gefördert durch die Kulturstiftung der Länder und den Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Und obwohl die Beziehungen zwischen beiden wissenschaftlichen Institutionen – dem Archiv und der Bibliothek – langjährig und vielfältig sind, wie die Generaldirektorin der Staatsbibliothek Barbara Schneider-Kempf betonte, ist die jetzige Partnerschaft durchaus ungewöhnlich und stellt einen ersten Schritt zu weiteren gemeinsamen Erschließungs- und Editionsprojekten dar. So sollen die Briefe, von denen gut die Hälfte bisher unveröffentlicht ist, digitalisiert und als elektronische Kopien den Nutzern in Potsdam und Berlin zur Verfügung stehen. Auch die weiteren Schritte, die Erschließung, Restaurierung und Veröffentlichung der Dokumente, werden gemeinsam unternommen.

Einen eindrucksvollen Vorgeschmack auf den Briefwechsel bekamen die zahlreichen interessierten Zuhörer hingegen schon am Mittwochabend. Der Schauspieler und Rezitator Hans-Jürgen Schatz trug eine treffliche und durchaus amüsante Auswahl von 15 Briefen aus den Jahren 1868 – Theodor jun. war gerade 12 und hatte seinen ersten Wespenstich erlitten – bis zum letzten Brief des Vaters an den Sohn, drei Wochen vor seinem eigenen Tod im September 1898, vor. Der erste Brief beginnt mit den Worten „Reisen bildet“ und der letzte hat ebenfalls dieses Thema. Doch weder die „Schweiz, Italien, Paris, die man gesehen haben muss“, sind das wirkliche Vergnügen, sondern die „kleine Lehrersommerfrische“: stille, abgelegene Plätze und ein Buch. Beide Originalhandschriften konnte man im Anschluss an die Präsentation mit eigenen Augen hinter Glas bewundern. Und sich nochmals darüber freuen, dass zu Fontanes Zeiten das Telefon noch kein Thema war. Und, dass Papier geduldig ist.

Astrid Priebs-Tröger

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