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Göttlich. Reste größeren Seins.

© Promo

Theaterschiff Potsdam: Immer noch jöttlich

Susanne Laser schüttet Kate Tempests Langgedicht „Brand New Ancients“ auf dem Theaterschiff mit den Mitteln des Theaters zu.

Potsdam - Die Götter sind unter uns, sagt die britische Rapperin und Lyrikerin Kate Tempest. Und sie sind nicht nur einfach irgendwo, sondern in jedem von uns. Als Reste eines größeren, edleren Seins vielleicht; in jedem Fall aber verschüttet unter Trieben, Sorgen, Nöten, die das irdische Leben, das finanziell prekäre zumal, mit sich bringt. Schau nur genau hin, sagt Tempest in ihrem Langgedicht „Brand New Ancients“, dann siehst du die göttlichen Funken auch da, wo du sie nicht vermutest.

Die Potsdamer Regisseurin Susanne Laser hat eine eigene Fassung des Gedichts nun als Theaterstück unter dem Titel „Brandneue Götter“ auf die Bühne des Theaterschiffes gebracht und sich diesen Gedanken zu Herzen genommen. „Wir sind immer noch jöttlich!“, meldet sich eine dieser Gottheiten eingangs unvermittelt zu Wort. Im Kneipenbereich des Theaterschiffes ist das, noch bevor das Publikum im Saal Platz nimmt. Hinterm Tresen steht die Göttliche (Jördis Borak), bis eben hatten wir sie gar nicht wahrgenommen. Jetzt wirft sie das Publikum in bestem Brandenburgisch in die poetischen Fluten von Tempests Text, verweist auf die Liebe und den „leeren Himmel, der da oben hängt“, über alten Männern, die auf Bänken hocken und jungen, die auf den Boden spucken. Ruft: „Kannste globen! Bist für Großet auserkoren!“ Und verschwindet dann im Saal. Wir folgen gern.

Diese erste Lektion des Abends sitzt. Der Tonfall stimmt, in der unverhofften Wucht von Tempests Sprache, gedimmt vom erdenden Brandenburgisch, ploppt einen Moment lang die Ahnung auf, wie herrlich das wäre: in jeder zufälligen Alltagsbegegnung ein göttlicher Funke. Danach geht es im Theaterraum weiter – schade eigentlich. Denn je mehr die einstündige Aufführung zum Theater wird, desto mehr verliert sie an Kraft. Und sie hat sich Theater mit allen Mitteln vorgenommen.

Auf der Bühne wird der Rahmen eines Schminkspiegels installiert, vor dem sich das vierköpfige Ensemble (Jördis Borak, Rüdiger Braun, Stefan Reschke, Karen Schneeweiß-Voigt) weiße Tragödengesichter schminkt. Derweil werden die Figuren eingeführt, die „neuen Jötter“: Kevin und Jane, Mary und Brian, Thomas und Clive. Mary, „eine brandneue Medea“, sitzt an der Supermarktkasse, raucht Kette und trinkt. Clive ist ihr Sohn, Mary liebt ihn, weiß aber nicht, ob sie ihn mag. Jane betrügt Kevin, und sie alle „haben die Schnauze voll“. Am offensichtlichsten Clive, der ist „eine fiese kleine Nummer / ständig macht er Kummer“.

Tempests Text kippt immer wieder in Reime dieser Art hinein, rückt das Geschehen drei Schritte vom Publikum weg – oft auch ins (unfreiwillig?) Komische. Das hat Johanna Wange 2017 für den Suhrkamp Verlag so übersetzt, aber auf der Bühne haut es der durchaus als blutige Tragödie angelegten Vorlage die Beine weg. Was wird hier eigentlich versucht? Familientragödie, Sozialsatire, göttliche Komödie? Die Regie gibt der komischen Überhöhung Zucker: Nach dem blutigen Kneipenshowdown stehen die vier Darsteller als vielarmige Hindu-Gottheit hintereinander und philosophieren im Predigten- Singsang darüber, dass ein „Gott immer Gott bleibt, was auch passiert“.

Die im prekären Südlondon aufgewachsene Kate Tempest soll ihren Text als Abrechnung mit den Folgen sozialer Verrohung geschrieben haben. Das geht hier insgesamt unter dem Karussell von Theatermitteln (Schminke, Chor, Discokugel, Glitzer) ziemlich verschütt. 

„Brandneue Götter“, am 4.5., 25.5., 8.6. und 9.6. auf dem Theaterschiff

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