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Theaterpremiere: Ein Solitär im deutschen Theater

Auf der Bühne oder davor? Wolfgang Menardi will beides. Für „Netzwelt“, sein vorerst letztes Stück am Hans Otto Theater, hat er die Bühne geschaffen.

Potsdam - Alle acht, neun Jahre fragt Wolfgang Menardi sich: Soll das jetzt alles gewesen sein? Dann weiß er, es ist Zeit für etwas Neues. Um 2005 herum war so ein Punkt erreicht. Damals hatte er sein erstes Schauspielengagement hinter sich – in Potsdam. Hier war er Schillers Don Carlos gewesen, Romeos Widersacher Mercutio, Paulas Paul, der Strumpfhosenheld Frank N. Furter in der „Rocky Horror Show“.

Aber Wolfgang Menardi wollte mehr, wollte anderes. Die Bühne von der anderen Seite sehen. Mehr Verantwortung, mehr Überblick. Wollte nicht mehr nur der auf der Bühne sein, sondern selber Bühnen schaffen. „Als Schauspieler ist man zwar für die Zuschauer vom ganzen Theater am präsentesten“, sagt er. „Aber eigentlich ist man der mit der wenigsten Freiheit. Man ist letztlich Erfüllungsgehilfe.“ 2005 also die Entscheidung für etwas anderes. Ein Architekturstudium.

Niemand sonst in Deutschland macht beides

Seitdem steht Wolfgang Menardi, geboren 1977 in Innsbruck, nicht nur auf der Bühne, sondern er baut auch selber welche. Manchmal, wie zuletzt „Der Mensch erscheint im Holozän“ nach Max Frisch am Deutschen Theater in Berlin, macht er beides. Bühnenbildner und Schauspieler zugleich: dieses Nebeneinander macht Wolfgang Menardi zu einem Solitär in der deutschen Theaterlandschaft.

Im Theater sind die Aufgabenbereiche größtenteils nach wie vor fein getrennt, vor allem in Deutschland. Da stoßen Grenzgänger wie er auf Skepsis, manchmal auf Argwohn. Menardi weiß um die Vorbehalte, zumal er kein ausgebildeter Bühnenbildner ist. Umso akribischer bereitet er seine Bühnenräume vor. Niemand soll ihm sagen können: Der hat’s ja nicht gelernt.

Dass der Bühnenbildner Wolfgang Menardi inzwischen mehr Anfragen bekommt, als er Projekte machen kann, liegt an Potsdam. 2012 kam er nach einem Engagement am Bayerischen Staatsschauspiel in München nach Potsdam zurück. Die neue Rolle: Bühnenbildner. Damals entwarf er die Bühne für „Jugend ohne Gott“. Nach kleineren Produktionen war das Menardis erste Arbeit als Bühnenbildner an einem größeren Haus. Dafür, dass das Potsdamer Theater damals den Mut dazu hatte, ist er heute noch dankbar.

Eine Bühne zwischen Kerker und Bunker

Regie führte Alexander Nerlich, mit dem Menardi seitdem kontinuierlich zusammengearbeitet hat. „Wir ergänzen uns gut“, sagt Wolfgang Menardi. „Alexander denkt oft filmisch, ich denke eher abstrakt.“ Wie gut sich die beiden tatsächlich ergänzen, zeigt der „Urfaust“ 2013. Eine weit über Potsdam hinaus viel beachtete, viel gelobte Inszenierung. Menardis Bühne war ein düsterer Raum, ein Ort zwischen Kerker und Bunker.

Die aufgeräumte Welt von Gretchens Zimmer wurde hier als Bühne in die Bühne hereingelassen – ein nur vorübergehender Gast in Fausts Düsternis. Diese Bühne war ein Ort, der nicht nur in er einer Ecke einen Spiegel aufwies, sondern selber Spiegel war, für die Isolation seines Protagonisten. „Ich baue keine Räume, sondern Bewusstseinszustände“, sagt Menardi.

Kein Wunder also, dass auch die Bühne für Fausts jüngeren Bruder düster war: „Peer Gynt“, entstanden 2016 wieder in der Regie von Alexander Nerlich, nominiert für den Friedrich-Luft-Preis. Schwarze Holzplanken, abschüssig zu einem schmalen Streifen Wasser hin, mehr brauchte Menardi nicht, um das Wanken Peer Gynts, das Pendeln zwischen Lüge und Wahrheit, Leben und Tod in ein Bild zu fassen.

Räume, die Protagonisten sind

Das Blendwerk, dem Peer im zweiten Teil verfällt, die Glücksillusion, die Reichtum und Erfolg bergen, zeigte Menardi in einem goldenen Glittervorhang, der „Theater!, Theater!“ schrie. Ein einfacher Raum. Aber einer, mit dem die Schauspieler kämpfen mussten. „Als Schauspieler habe ich mir immer Räume gewünscht, die auch Protagonisten sind“, sagt er. Wenn er jetzt selber welche baut, dann sollen sie widerständig sein.

Heute hat Wolfgang Menardis vorerst letzte Arbeit in Potsdam Premiere, die letzte Zusammenarbeit auch mit Alexander Nerlich. „Netzwelt“ heißt das Stück der US-amerikanischen Autorin Jennifer Haley. Inhaltlich knüpft es an Huxleys „Schöne neue Welt“ an, das das Duo Nerlich/Menardi 2016 auf die Bühne brachte: eine Dystopie, in der das Internet zu einem parallelen Kosmos ausgewachsen ist, der wie Huxleys „Feelies“ virtuelle Erfahrungen körperlich erlebbar macht – im Mantel der Anonymität.

„Refugium“ heißt der virtuelle Heile-Welt-Kosmos im Stück. Es beschreibt die düstersten, perfidesten Winkel dieser Welt: die Möglichkeit, in einem pervertierten Mädchenparadies mit kindgleichen Avataren Sex zu haben. Dessen Erfinder, der sich „Papa“ nennen lässt, ist eine Kommissarin auf die Schliche gekommen. Verhörszenen wechseln sich mit surrealen Sequenzen ab.

Widerstand im Kubus

Menardi stand vor der Schwierigkeit, beide Erzählebenen zusammenzubringen. Herausgekommen ist ein schwarzer Kubus mit drehbaren Wänden: innen und außen, Verhörraum und Traumwelt sind nur eine Bewegung (einen Klick?) auseinander – und manchmal fließen sie auch ineinander. Wie irritierend das sein kann, zeigt der Sessel, den Menardi sich für die Bühne ausgedacht hat. Ein türkises Sitzpolster, hinten gebogene Beine aus Holz. Aus den Armlehnen wachsen Hände, aus der Lehne wächst ein Kopf. Da ist er, der Widerstand, den Wolfgang Menardi sucht. Er fährt einem bis ins Mark.

„Netzwelt“, Premiere heute um 19.30 Uhr in der Reithalle. Weitere Termine am 25. und 28. November

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