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René Schwittay in "Nationalstraße".

© Thomas M. Jauk/HOT

Theaterkritik: Premiere von „Nationalstraße“ in der Reithalle Potsdam

Jaroslav Rudis „Nationalstraße“ hatte am Freitagabend in der Reithalle des Hans Otto Theaters Premiere und überzeugte vor allem durch seine Darsteller. Es verlangte dem Publikum aber auch eine hohe Konzentration ab. 

Potsdam - René Schwittay steht lange schweigend vor dem ausverkauften Theatersaal in der Reithalle. Er ist der erste von vier Darstellern, die an diesem Abend Vandam spielen werden, den Protagonisten aus Jaroslav Rudis Roman „Nationalstraße“. Regisseur Frank Abt hat diesen Roman für die Bühne bearbeitet und feierte am Freitagabend Premiere im Hans Otto Theater. Die Erzählung des Prager Dachlackierers, der meint, er habe die „Samtene Revolution“ 1989 in Gang gebracht und sich zugleich mit dem Kickboxer Van Damme identifiziert legt er dabei mehreren Schauspielern in den Mund. 

Das ist eine gute Entscheidung, denn die Rede dieses Mannes, der sich sehr häufig in der Kneipe Severka in einer Plattenbausiedlung, in der er wohnt, aufhält, ist lang. Über zwei Stunden redet Vandam davon, wie es läuft im Leben, über seine Saufereien und die dabei angezettelten Schlägereien, bei denen es dann nur noch um „Nase, Pfütze,  Pfütze, Nase“ geht. 

Paul Wilms als Vandam.
Paul Wilms als Vandam.

© Thomas M. Jauk/HOT

Das zerschlagene Nasenbein und die Blutpfütze, die sich neben dem ausbreitet, der am Boden liegen bleibt. Vandam faselt davon, dass er „der letzte Römer“ sei, aber beileibe kein Nazi. Er macht den Hitlergruß und schreit „Heil Europa“. Er habe nichts gegen Ausländer. Aber er will Ruhe und Ordnung. Seine Ordnung. Das, was er darunter versteht. Er redet über die Bäume und besonders die alte Ulme im Wald, die ja hierzulande so gut wie nicht mehr existiert. Vandam empfiehlt das Lesen seiner Lieblingstitel   -über die Römer natürlich und den perfekten Kampf und den „ewigen Frieden“. 

Dennoch meint der selbsternannte Krieger und kulinarische Liebhaber von Knödeln, Kraut und Schweinebraten: „Höre auf deinen Bauch. Nicht auf den Kopf.“ Oder: „Komm mit dir selbst ins Reine. Konzentrier dich, geh in dich.“ Da sind Sätze dabei, die sich inmitten von Kauderwelsch beinahe weise anhören. Aber letztlich geht es eben um den Bauch, der hier immer ein gieriger ist. Vom Herzen ist nie die Rede. 

Katja Zinsmeister.
Katja Zinsmeister.

© Thomas M. Jauk/HOT

Als Schwittay, ganz nah am Publikum, vor der weißen Wand und auf dem von ihm eingangs ausgerollten knallroten Teppich, mit seiner Rede zu Ende ist, lauscht er mit einem triumphierenden Lächeln dem ersten Song des Abends, der wohltuend vor dem nächsten Monolog eingespielt wird. Gesungen wird er von Francesco Wilking und Moritz Krämer von „Die Höchste Eisenbahn", die für das Stück extra vier Songs komponiert haben. Dabei ist Schwittay anzusehen, dass dieses Lächeln nicht nur seine Rolle verkörpert, sondern wohl auch ein ganz persönliches ist, weil er diesen ersten Redemarathon gemeistert hat. 

Paul Wilms springt als zweiter Vandam in Hose und Kapuzenshirt - ebenfalls barfuß - in den Liegestütz und setzt, noch ein bisschen atemlos, zu seiner Rede an. Wilms übernimmt die Dynamik, die Schwittay aufgebaut hat und somit gibt es bei ihm keine leisen Töne. Er schiebt die weiße Wand beiseite und führt das Publikum an einen karg bestuhlten Esstisch, nimmt es mit zu dem Weihnachtsabend, an dem sein Vater sich vom Balkon der Wohnung im neunten Stockwerk zu Tode stürzte. 

Joachim Berger.
Joachim Berger.

© Thomas M. Jauk/HOT

Katja Zinsmeister, alias Barfrau Sylva und zugleich Geliebte und Geschlagene Vandams, betritt im roten Kleid mit silbernen Blümchenpailetten und einer strähnigen Frisur, die nach Überarbeitung am Tresen und zu Hause aussieht, zu einem schwierigen Zeitpunkt die Bühne. Nach den beiden Monologen ist beim Publikum, das ohne Pause sitzen bleiben musste, gerade ein Tief der Aufnahmefähigkeit dieses kompakten und sich in Redespulen und -schleifen wiederholenden Textes, eingetreten. 

Vielleicht liegt es an dieser Atmosphäre im Saal, die die Schauspielerin auf dem Barhocker erreicht und ihrer Rede etwas Fahriges, wenig Akzentuiertes verleiht. Es kostet immer wieder Mühe in ihrem Monolog klar zu trennen, wer gerade spricht: Sylva oder Vandam. Das Aufstehen und die Bewegung im Raum tun Zinsmeisters Spiel gut. Dennoch stellt sich nicht wirklich fesselnde Konzentration ein, scheint ihre Rede an diesem Premierenabend zu zerfasern. 

Joachim Berger schließlich setzt als dritter und letzter Vandam einen angenehmen Kontrast zu seinen, oft vor allem mit der Lautstärke in der Stimme arbeitenden Vorgängern. So weich fließend, wie die schwarze lange Hose, die fast die nackten Füße Bergers verdeckt, wirkt sein Spiel. Auch er brüllt seinen Hitlergruß. Aber das ist in seiner ansonsten vor allem leisen, eindringlichen Rede wohlgesetzt. Berger rollt den roten Teppich wieder zusammen und bringt einen Abend zu Ende, der den einzelnen Darstellern viele Möglichkeiten sich auszudrücken und auszuspielen gibt und ihnen dabei eine Menge abverlangt.

Als Publikum wünscht man sich zwischendurch auch aufstehen und ein paar Runden drehen zu können. Aber so zeigt das Stück in Echtzeit, wie interessant, aufschlussreich und zugleich mühsam es eben ist, sich so einem Vandam zu öffnen. 

Carolin Lorenz

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