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Theaterfestival Unidram: Millimeterarbeit im Zwischenreich

Das Theaterfestival Unidram zeigt im T-Werk neue Inszenierungen aus ganz Europa. Dieses Mal geht es um Leben und Tod.

Potsdam - Es geht ins Zwischenreich. In den Raum zwischen Leben und Tod, in Zeiten der Übergänge. Gleich mehrere Produktionen des diesjährigen Festivals Unidram, das am Dienstag beginnt, beschäftigen sich mit diesem Thema. Das Objekttheater „Séance“ von Dekoltas Handwerk beschäftigt sich mit dem Ungreifbaren zwischen Hell und Dunkel, Sichtbarem und Unsichtbarem. Etienne Saglio steigt mit dem Stück „Les Limbes“ hinab in die Vorhölle und die St. Petersburger Theatertruppe Akhe beschäftigt sich mit dem Tibetanischen Totenbuch.

Die Schrift aus dem 8. Jahrhundert beschreibt mehrere Stufen und Phasen des Sterbens, die physischen und psychischen Ereignisse und den Moment des Todes, die Wahrnehmung des klaren Lichts und die karmischen Illusionen, die zuletzt in das persönliche Karma übergehen. Akhe hat vier Stücke dazu inszeniert. Der episch breit angelegte Performancezyklus „Between Two“, „Zwischen Zwei“, ist jetzt erstmals außerhalb von St. Petersburg zu sehen. Weil Akhe seit Jahren bei Unidram auftritt, haben die Russen hier mittlerweile einen festen Fankreis. Der Zyklus dürfte also zu einem Highlight des Festivals werden, sagt T-Werk-Chef Jens-Uwe Sprengel.

Der komplette Bühnenboden wird geflutet

Für das T-Werk bedeuten die vier unterschiedlichen Vorstellungen in dem kurzen Zeitraum eine mittlere Herausforderung. „Wir haben unsere Bühne in diesem Jahr praktisch für Akhe reserviert. Die Stücke sind technisch so aufwändig, es geht nicht anders“, sagt Sprengel. Der Auf- und Abbau der vier Bühnenbilder brauche einfach sehr viel Zeit. Für jede Inszenierung werden viele und oft sehr ungewöhnliche Requisiten benötigt. Dafür schicken die Petersburger, die von sich selbst sagen, dass sie Ingenieurtheater machen, jedes Mal lange Einkaufslisten für Materialien, Werkzeuge und ganz spezielles Gedöns nach Potsdam. In diesem Jahr wird es richtig kompliziert, weil an einem Abend der komplette Bühnenboden geflutet werden muss. „Man legt mehrfach Teichfolie aus, baut drum herum einen Rand und hofft, dass nichts passiert“, sagt Sprengel.

Für alle weiteren Stücke des fünftägigen Festivals mussten und konnten andere Bühnen gefunden werden, aufgrund der Kooperationen der Häuser in der Schiffbauergasse kein Problem. So wird das Stück „Les Limbes“, zu Deutsch Vorhölle, in der Reithalle aufgeführt. Auch diese Produktion ist hochkomplex, mit einer sehr speziellen Lichttechnik sollen faszinierende Bilderwelten entstehen. „Das geht es beim Aufbau und den Einstellungen um Millimeter“, sagt Sprengel.

Junge Ensembles, die alles andere als konventionelles Theater machen wollen

Das darf man keineswegs als Jammerei interpretieren. Unidram ist ein ganz besonderes Baby des T-Werk. 1993 als Uni-Theaterfestival gegründet, spielten studentische Gruppen jedoch bald keine Rolle mehr. Stattdessen kamen und kommen bis heute mehr oder weniger junge und innovative Ensembles, die alles andere als konventionelles Theater machen wollen – mal technisch hoch spezialisiert, mal in ihrer Reduktion fokussiert, mal zum Mitmachen, so dass man als Zuschauer ergeben mitten im Theaterkosmos sitzt. Was alles eint, ist der Fokus auf das Visuelle. Denn Unidram, so ist es gedacht von Anfang an, soll nicht auf eine Sprache festgelegt sein, der Theatergenuss nicht vom Beherrschen einer Sprache abhängen. „Natürlich wird in den Stücken gesprochen, aber das ist nur ein Element von vielen“, sagt Sprengel. Die starke visuelle Ausrichtung, in der sich Puppenspiel, Objekttheater und genreübergreifende Inszenierungen finden, ist in dieser Form einmalig in Deutschland. Geschätzt 2500 Besucher kamen im vergangenen Jahr und längst nicht nur aus der Region. Die Stadt fördert das Festival mit 60 000 Euro, denn die Kosten in Höhe von 150 000 Euro, für Stücke, Fahrkosten, Betreuung, Material und ein extra Technik-Team mit etwa 40 Personen, kann das freie Theater nicht allein tragen.

Doch nicht alle Stücke sind so aufwendig und neben den renommierten und mit Recht oft als verrückt angesehenen Russen treten auch neue Ensembles auf. „Heydrich“ heißt das Stück von Mime Club aus Prag. Ein Schauspieler und ein Musiker beschäftigen sich mit der ambivalenten Figur des SS-Führers Reinhard Heydrich – einerseits gefühlskalter Manager und brutaler Vollstrecker, andererseits ein hervorragender Schwertkämpfer und virtuoser Geiger. Die Inszenierung, eine kraftvolle Körperstudie, entwirft das Bild einer Schlüsselfigur der Nazis zwischen Korruptheit, Manipulation und Zerstörungslust. Nick Steur aus Maastricht hat im vergangenen Jahr mit den Themen Schwerkraft und Balance gespielt. Sein jetziges Stück „A piece of time“ ist eine Performance mit etwa 40 Metronomen, die mit Hilfe des Publikums, das teilweise auf der Bühne sitzt, aktiviert und bespielt werden, bis ein berauschender Chor tickender Zeitgeräte entsteht.

Lebensgroße Figuren werden lebendig

Und dann wäre da noch das Puppentheater, klassisches Genre für Aufführungen ohne Sprachbarriere. Die DudaPaiva Company aus Amsterdam zeigt „Blind“, eine Mischung aus Bewegungstheater, Figurenspiel, Interaktion mit dem Publikum sowie afrobrasilianischen Yoruba-Gesängen. Lebensgroße Figuren hängen an Schnüren und werden lebendig. Sie sehen aus wie grob aus Pappmaché gespachtelt oder wie der biblische erste Mensch, aus Tonklumpen entstanden. Nicht schön, eher dämonisch-gefährlich und dann doch auch anrührend. Über den Umweg des Bildes, diesem Zwischenreich, in dem man sich entscheiden muss, wie dicht man Geschichten an sich heran lassen will, gelangen sie ins Herz der Zuschauer.

Unidram vom 8. bis 12. November im T-Werk, Schiffbauergasse. Eröffnung am morgigen Dienstag um 19 Uhr mit „Blind“. Programm und Karten gibt es online und Telefon: (0331) 71 91 39.

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