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Allein sein muss nicht immer fein sein. C. (Hauke Petersen, vorn) hat sich für ein Einzelkämpferdasein entschieden. Viel Freude bringt ihm das nicht ein.

© promo

Theater im Freiland: Wenig Sympathie für den Aussteiger

Im Freiland ist am Sonntag das Theaterstück „Geld darf nicht nötig sein“ zu erleben - eine bissige Kapitalismus-Kritik, bei der auch mal Blut spritzt

Haltung ist ein Wort, das im Gespräch mit Remo Philipp zuverlässig immer wieder fällt. Und das man auch als eine Meinung verteidigen könne. Genau das ist es, was Philipp so gern mit Jugendlichen arbeiten lässt: Die haben oft noch gar keine Meinung. Aber wenn man sie anleitet, sich mit Dingen zu beschäftigen, dann bilden sie sich selbst eine – damit habe man schon viel erreicht.

Am Sonntag gibt es das Stück „Geld darf nicht nötig sein“ im Freiland zu sehen, das bereits im September seine Premiere im „nachtboulevard“ des Hans Otto Theaters feierte. Das Stück ist eine Non-Profit-Veranstaltung, sogar der Eintritt ist frei, das gehöre zum Konzept. Fünf junge Menschen hat Philipp sich ausgesucht, um dieses Stück zu inszenieren, fünf, bei denen er die pure Lust am Theaterspielen spürte. Lange suchen musste er nicht, er ist mit allen befreundet, viele kennt er noch aus seiner Zeit als Gruppenleiter beim Theaterjugendclub des Hans Otto Theaters. Mittlerweile ist er dort Regieassistent, im April hat er als Regisseur mit dem Lutz-Hübner-Stück „Das Herz eines Boxers“ debütiert, es gab viel Lob, Philipp spornt das an, er glüht für die Aufgabe. Die Arbeit mit Sascha Hawemann, bei dessen Inszenierung von „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ er assistierte, habe ihn sehr beeinflusst, auch Elias Perrig, mit dem er für „Zorn“ arbeitete. Philipp ist 25 Jahre alt, er findet gerade seine eigene Handschrift.

In „Geld darf nicht nötig sein“ geht es um C. (Hauke Petersen), ein junger Mann, dem etwas weggenommen wurde. Was das genau war, tut nichts zur Sache, es war etwas Wichtiges, sein Ein und Alles, sein Strohhalm, an den er sich klammerte. „Im Prinzip wurde ihm der Glauben genommen“, sagt Philipp, meint das aber weniger im religiösen Sinn. C. beschließt, aus dem System auszusteigen, er will nicht mehr handeln, nicht mehr betteln – purer Eskapismus aus der materiellen Lebensweise. Er beobachtet zunächst, lässt viel auf sich einprasseln. „Es geht ihm nicht darum, abzuhauen oder kein Teil der Gesellschaft mehr zu sein, C. bleibt, nur auf seine Weise.“

Unerwartet werden erzchristliche Analogien sichtbar: die ständige Versuchung, vom Glauben zu fallen, aus dem Buch Hiob, der Protagonist nennt sich C. Jistus. Ist „Geld darf nicht nötig sein“ also ein religiöses Stück? „Für mich geht es hier viel mehr um eine Weltanschauung. C. versucht ja auch, für eine moralische Welt zu kämpfen.“ Er bleibt konsequent, aber er bleibt auch ein Einzelkämpfer. Im Stück ist diese Figur aber nicht als Sympathieträger angelegt, im Gegenteil: Die Gegenspieler – seine Freunde, die Familie – sind die, die durch ihre komödiantische Art das Publikum auf ihre Seite ziehen. C. ist nicht etwa die Identifikationsfigur, sondern ein spießiger Einzelkämpfer, der sich vor der wahren Welt verschließt – obwohl man natürlich weiß, dass er eigentlich recht hat. Alle anderen stehen außen, oft auf erhöhten Ebenen – auf denen sie etwa als Chor agieren, manche Dinge gemeinsam sagen oder Requisiten einwerfen. „Man sieht auch die Freude der anderen, die C. nicht mehr empfinden kann. Aber die Frage ist doch, wie sich das Publikum verhält. Immerhin schießen sich hier zwei Parteien gegenseitig ins Aus.“

„Das Stück ist eher was Komödiantisches, auch wenn es keine echte Komödie ist“, sagt Philipp. Die Handlung ist völlig überzogen, da kann auch mal Blut spritzen, es kann obszön werden. „Theater muss auch mal wehtun, nicht immer nur unterhalten“, sagt Philipp. Manchmal wurmt ihn das Potsdamer Publikum, nur die Musicals und großen Komödien sind regelmäßig ausverkauft, in die bissigen Stücke kommt kaum jemand. 2009 hatte er in seiner Heimatstadt Magdeburg, wo Tobias Wellemeyer vorher Generalintendant war, im Jugendclub-Stück „Strangers in MD“ mitgewirkt. Es ging um die Magdeburger Naziszene, die Handlung war angelehnt an Becketts absurdes Theaterstück „Warten auf Godot“ – das Stück fiel ihm auf die Füße, wie er sagt, selbst die Theaterpädagogen schnitten ihn dafür, zu unbequem sei es. Philipp versteht das bis heute nicht, es kränkt ihn, dass ihm unterschwellig so etwas wie Nazi-Propaganda unterstellt wurde. Auch wenn es schließlich unter Auflagen gespielt werden durfte: „Wir mussten den Gästen in einem halbstündigen Nachgespräch erklären, wie wir das meinen, damit keiner etwas missversteht.“ Die Enttäuschung darüber ist ihm noch immer anzumerken. Auch ein Grund, warum er Tobias Wellemeyer folgte, als dieser 2010 von Magdeburg nach Potsdam kam. Oliver Dietrich

„Geld darf nicht nötig sein“ am Sonntag, dem 30. November, 20 Uhr, im Haus 1 im Freiland, Friedrich-Engels-Str. 22. Der Eintritt ist frei.

Oliver Dietrich

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