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Aus Kunst wird Schrecken. Katrin Reiling hatte die Aufgabe, die intensiven Bilder einer Kunstperformance aus „The Square“ in Texte umzuwandeln.

© Alamode-Film/dpa-Bildfunk

"The Square" für blinde Filmliebhaber: Audiodeskription als Kunstform: Poesie für die Lücke

Katrin Reiling schreibt Audiodeskriptionen für blinde Filmliebhaber - damit schafft die 41-jährige Potsdamerin eigene kleine Kunstwerke.

Von Sarah Kugler

Es gibt diese eine Szene in dem Film „The Square“, die kaum auszuhalten ist. Ein Mann, der sich wie ein Affe durch fein gekleidete, dinierende Kunstinteressierte bewegt. Eine Live-Kunstperformance wird gezeigt. Gleich am Anfang ist klar: Hier wird es unangenehm. Die aufgeladene Spannung steigert sich, Gläser gehen zu Bruch, die Grenzen zwischen Kunst und Wahnsinn verschwimmen bis zur Unkenntlichkeit.

Katrin Reiling kennt diese Szene gut. Sie hat sie mehr als zehnmal gesehen. Wie auch den Rest des Films, der vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert wird und auf der Oscar-Shortlist für den besten fremdsprachigen Film steht. Denn die 41-jährige Potsdamerin hat die Audiodeskription für den Film geschrieben, also den Text, den Blinde und Sehbehinderte hören können, um Filme besser nachzuvollziehen. Das wiederholte Ansehen des Films ist dabei Teil der Arbeit, wie sie erzählt. Schon beim ersten Durchlauf macht sie sich Notizen zu den gezeigten Orten und Gegenständen. Präzision ist wichtig. Brückennamen etwa müssen genauso stimmen wie die Bezeichnungen der Gegenstände. Außerdem gilt Objektivität – vor allem bei der Beschreibung der Personen. „Sätze wie ’Eine attraktive Blondine betritt den Raum’ gilt es zu vermeiden“, erklärt Katrin Reiling. Überhaupt muss sie oft sehr reduziert arbeiten, denn die Filmabschnitte, welche sie mit ihrem Text füllen kann, sind häufig kurz. Ihr fertiger Text, den sie zur Probe zunächst selbst einspricht, um zu prüfen, ob er in den Filmfluss passt, wird am Ende immer von einem blinden Autoren überprüft.

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Doch zunächst liegt es bei Reiling, mit einem genauen Auge die Dialog- und Geräuschlücken zu identifizieren, in die sie ihre Texte platzieren darf. Bei aller Präzision versucht sie immer den Stil der Bildersprache in ihren Texten beizubehalten. Den chilenischen Film „Eine fantastische Frau“, der ebenfalls auf der Oscar-Shortlist steht, beschreibt Reiling bereits in einer Zusammenfassung als „wunderbar atmenden Film“, der eine Audiodeskription „mit organischem Sprachfluss, logischem Rhythmus und einer auf die Bildsprache des Films zugeschnittenen Sprache“ ermöglicht. Ihre Texte, die erst auf der Dvd-Fassung zu hören sein werden, spiegelten das wider, wie sie sagt.

Warum „The Square" zum neuen Lieblingsfilm wurde

Sprache habe sie schon immer fasziniert, erzählt Reiling weiter. Noch während ihres Studiums der Philosophie und Germanistik in Freiburg fing sie an, beim Theater zu arbeiten. Wurde dort Regieassistentin, später auch beim Fernsehen. Sie arbeitete in Film- und Fernsehredaktionen und machte sich schließlich 2008 als Autorin und Texterin selbstständig. Die Liste ihrer Arbeiten ist lang. Sie reicht von Romanadaptionen für Hörbuchverlage über Soapdialogbücher bis hin zu Blogtexten für Firmen. In Potsdam hat sie ihr Büro im Rechenzentrum – ein Raum, nach dem sie lange gesucht hat, wie sie erzählt. Für die Audiodeskriptionen absolvierte sie in Berlin noch einmal eine extra Ausbildung als Filmbeschreiberin. Ihre Beschreibungen beschränken sich nicht nur auf den Film: Sie schreibt auch Texte für Museum-Audioguides.

Die Arbeit für „The Square“ war für Reiling eine ganz besondere Herausforderung – eine besonders positive. „Ich bin sehr begeistert von dem Film, dem Erzählrhythmus“, sagt sie. Sogar ihren bisherigen Lieblingsfilm „Manche mögen’s heiß“ (1959) mit Marilyn Monroe in der Hauptrolle habe er abgelöst. Zwischen einer enormen Handlungsdichte und einer lähmender Stille beschreibt sie den Erzählstil des Films.

Zwei Szenen seien ihr dabei besonders in Erinnerung geblieben. Zum einen eine Bettszene, in der die beiden Protagonisten ein überaus komisches Streitgespräch führen, bei dem ein Kondom eine tragende Rolle spielt. So wie die Bilder hier auf den Punkt komödiantisch sind, muss es auch Reilings Text sein. Denn nur der Dialog allein reicht nicht aus, um den Witz zu verstehen. „An solchen Stellen muss ich sehr genau arbeiten“, erklärt sie. Nicht weniger Genauigkeit verlangte die am Anfang beschriebene Kunstperformance. Hier galt es die Härte der Situation zu beschreiben, ohne die Geräusche wie das Stöhnen oder Schnaufen zu überdecken. „Die Szene ist ein schönes Beispiel dafür, dass Stille ihren Raum braucht“, erklärt sie. Auch für blinde Menschen, die Reiling immer wieder als große Cineasten kennenlernt.

„The Square“ ist heute Abend um 21.15 Uhr sowie morgen um 17 Uhr noch im Filmmuseum Potsdam zu sehen

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