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Kultur: Texte, die nach Rauch und Asche riechen Lesung aus erster Wolfgang-Hilbig-Biografie

Mit grauem Anorak und abgelederter Aktentasche kam er ins Alte Rathaus. Fast schlich er an den Besuchern vorbei.

Mit grauem Anorak und abgelederter Aktentasche kam er ins Alte Rathaus. Fast schlich er an den Besuchern vorbei. Wolfgang Hilbig, der 2003 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, erinnerte mehr an einen Hausmeister als an einen Intellektuellen. Auch während der Lesung wirkte er in sich gekehrt, fast abweisend. Und so wie er kam, verschwand er ohne Aufhebens wieder im Dunkel des Alten Marktes.

Diese Begegnung mit Wolfgang Hilbig liegt Jahre zurück. Beim Lesen der ersten Biografie über dieses 2007 verstorbenen Ausnahmetalents, der als „Hölderlin aus Sachsen“ bezeichnet wurde, lassen die Bilder wieder hoch kommen. Hilbig war ein Getriebener, der schreiben musste. „Erst wenn sich der von schwerer Hand gehaltene Füllfederhalter leicht über das Papier bewegte, lebte er auf“, schrieb Literaturwissenschaftler Michael Opitz in seiner Hilbig-Biografie, die Leben und Werk auf gelungene Weise verschmelzen lässt. Man spürt den aufgeriebenen, in sich gespaltenen Menschen, der sich nirgends zu Hause fühlte: „o du mein zerrissenes lausiges land ohne liebe/ ohne heimat ohne hoffnung für mich“, schreibt er.

Vaterlos aufgewachsen in Meuselwitz bei einem cholerischen Großvater, der Analphabet war, und einer Mutter, die ihm mit dem Ausklopfer Ordnung einbläuen wollte, verließ er nach acht Jahren die Schule. Er wurde Bohrwerkdreher und arbeitete sich zum Heizer hoch. „Wenn das Feuer die Kohle in Asche verwandelte, wurde aus dem Heizer der Schriftsteller, der an einem staubigen Pausentisch, auf dem eine schmutzige Wachstuchdecke lag, Texte schrieb, die zur Weltliteratur zählen.“ Noch immer gehe von seinen im Nachlass aufbewahrten A5-Heften ein eigenartiger säuerlicher Geruch aus, schreibt Opitz, als hätten sich die Hefte in den Heizungskellern vollgesogen mit einem Gemisch aus Rauch, Asche und Wasserdampf.

Der Autor durchforstete Archive, stieß auf unveröffentlichte Briefe und Tagebücher und zitiert aus Akten der Stasi, die Hilbig eine feindliche Grundeinstellung zur DDR anlasteten. Er kam ins Gefängnis, angeklagt, einen Fahnenmast aus der Erde gerissen und eine DDR-Staatsflagge angebrannt zu haben. Ob es sich um eine inszenierte Aktion des MfS gehandelt haben könnte, gehe aus den Unterlagen nicht hervor. Auf jeden Fall spielte sie der Stasi in die Hände. Entdeckt wurde der Dichter Hilbig, der stets ohne Maske geschrieben hat, erst in der Bundesrepublik, in die er 1985 umsiedelte. Angekommen ist er auch dort nie. Heidi Jäger

Lesung am 31. Januar, 20 Uhr, im Huchel-Haus, Wilhelmshorst, Hubertusweg 41

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