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Tatort-Kritik: Komm mal zu Mutti

Aki Kaurismäki trifft Breaking Bad: Beim Saarbrücken-Tatort mit Devid Striesow spielen großartige Bilder, charmanter Slapstick und skurrile Charaktere die Hauptrolle. Die etwas krude Story tritt in den Hintergrund - der Unterhaltung schadet das nicht.

Nach seinem Januar-Fehlstart gelingt Jens Stellbrink als Saarbrückener Ermittler jetzt doch der Coup: Selten wurde ein so schräger, komödiantischer Tatort ausgestrahlt. Der Vespa-Fahrer als Verfolger einer Rocker-Gang sprüht geradezu vor Esprit und Slapstick. Münster, zieht euch warm an!  

Ach nein, Devid Striesow macht es einem wirklich nicht leicht: Eben noch war er als schrulliger Ermittler Jens Stellbrink damit beschäftigt, im Pilotfilm „Melinda“ verbissen gegen ein ärgerliches Drehbuch anzukämpfen, schon ist er mit einem Paukenschlag zurück und sogleich kurz davor, sich als Kultermittler zu etablieren. Nach den ewigen Schlaftabletten Kappl und Deininger hätte man dem Saarland so eine spritzige Unterhaltung gar nicht mehr zugetraut; aber warum sollte man das komödiantische Ressort auch kampflos den  Münsteraner Ermittlern überlassen?

Die Story ist zwar krude und undurchsichtig, aber das fällt nicht mal ansatzweise auf. Eben noch sitzen die Rocker der „Dark Dogs“ in ihrem Bau und prollen sich im Testosteronhagel zu, schon werden sie mit einer Uzi beschossen – und am nächsten Tag liegt Rocker „Rüde“ (viel zu kurzer Gastauftritt: Claude-Oliver Rudolph) mit Genickbruch neben seiner Harley im Straßengraben – „ein Moppedfahrer aus dem Moppedfahrerverein“, wie Stellbrink lakonisch feststellt. Während Stellbrink zunächst nur nach dem Dezernat für Verkehrsdelikte verlangt und Frühstück einfordert, kommt schnell heraus, dass es sich hierbei nicht um einen Motorradunfall gehandelt hat: Rüde wurde natürlich ermordet. Nebenbei geht es um das große Drogengeschäft mit einer neuen Droge namens „Paradise“ – billiger als Heroin und doppelt so stark wie Crystal Meth – Breaking Bad in Saarbrücken. Nach der Doppelfolge „Wegwerfmädchen“ also wieder einmal ein Mord im Rockermilieu, Drehbuchautor Felice Götze will aber gar keine Kritik an mafiösen Strukturen üben: Er spielt mit herrlich plakativen Stereotypen, die bärtigen Rocker cruisen auf ihren Feuerstühlen, Stellbrinks zickige Kollegin Lisa Marx (Elisabeth Brück) sitzt genauso fest im Sattel, während er selbst auf einer Vespa hinterherfährt – vergeblich wartet man nur darauf, dass Kappl und Deininger zu zweit auf einem Mofa die Szenerie kreuzen.

Dabei hat der ganze Film einen geradezu skandinavischen Charme, was am finnischen Regisseur Hannu Salonen liegen muss, der sich zum Kaurismäki der sonntäglichen Fernsehunterhaltung mausert. Die Kamera fängt großartige Bilder ein, unzählige charmante Details, die Story ist so gut gelaunt und fluffig erzählt, dass manche Szene durchaus hinter einem Lachtränenschleier verloren zu gehen droht. Die Charaktere sind dazu einfach nur skurril bis zur Grenze: der Präsident, der von allen nur „Mutti“ genannt wird, der beinamputierte „blaue Klaus“, der leidende, geprügelte V-Mann Tim und dessen thailändische Geliebte Taja, die ein kleines, nur wenige Zentimeter großes Geheimnis birgt – alle sind liebevoll entworfen. Und Stellbrink poltert durch die Geschichte wie ein großes, bockiges Kind, das immer wieder aneckt und zwischen hilflosem und verbissenem Gesichtsausdruck changiert, unfähig, sich Autoritäten unterzuordnen. 

Und was haben wir am Ende? Wir haben ein Highlight, das im Saarland einfach nur hervorragend deplatziert wirkt, einen Tatort zum Liebhaben, der sich einen Dreck darum schert, gesellschaftliche Realitäten abbilden zu wollen. Hier stimmt einfach alles: Wenn Striesow-Stellbrink mit seinem Rollerhelm unterm Arm zum Rockerverhör erscheint, möchte man das Bild einfrieren, dazu noch ein großartiger Soundtrack mit Ohrwurmcharakter - dieser Sonntagabend lohnt sich wirklich!

Keine Lust auf allein gucken? Die PNN-Redaktion empfiehlt die Live-Übertragung im Galerie-Café 11-line, Charlottenstr. 119. Wer bis 21.00 Uhr den Mörder errät, erhält ein Freigetränk. Eintritt frei.

Oliver Dietrich

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