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Tanztage Potsdam: Die Akrobatik einer Beziehung

Schweiß - oder Gefühl - was die Liebenden im Innersten zusammenhält, fragt Jan Martens mit seinen tragikomischen Tanzstück „Sweat Baby Sweat“

Man könnte meinen, über Mann-Frau-Beziehungen sei im (Tanz-)Theater (fast) alles gesagt. Dass dem nicht so ist, war am Donnerstagabend bei den Tanztagen zu erleben. Der 30-jährige niederländische Choreograf Jan Martens spielte in seiner Inszenierung „Sweat Baby Sweat“ mit vielen Klischees über Paarbeziehungen und schuf dabei eine Choreografie, die die Akrobatik einer Beziehung gekonnt minimalistisch auf den Punkt brachte.

Ein halbnacktes Paar steht sich gegenüber. Sie (Kimmy Ligtvoet) steigt zu Beginn ihrer Begegnung auf seine Oberschenkel und umfasst seinen Hals und er (Steven Michel) kurz darauf ihren. In dieser Haltung verharren beide auf Augenhöhe. Minutenlang. Dann bewegen sie sich wie in Zeitlupe in dieser eng-weiten Umarmung, in einem scheinbar ewig anmutenden Auf und Ab. Kraftvoll und schön, fast wie Bilder aus dem Kamasutra, ist das anzusehen, doch schon in der Wiederholung wird deutlich: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.

In Jan Martens Inszenierung sind die beiden Tänzer Akrobaten, und diese hohe physische Beanspruchung – schon in der zweiten Runde sieht man ihre Muskeln zittern – zieht nach sich, dass auch die Konzentration füreinander eine andere ist als beim ersten Mal. Das ist ein wunderbarer Vorgang! Den Protagonisten scheint er nicht bewusst – beide können nicht mehr voneinander lassen. Und so bekommt man bei „Sweat Baby Sweat“ auch den wahrscheinlich bisher längsten Kuss der Theatergeschichte zu sehen!

Weil auch diese Vereinigung ihr nicht reicht, geht sie in die körperliche Umklammerung, die er zulässt, dann wieder und wieder langsam löst, indem er ihre Füße liebevoll auf den Boden stellt. Ein einziges Mal trägt sie ihn, wobei er wie ein hilfloses Kind wirkt. Das ist ein Bild – wie auch die äußere Gestalt der Tänzer –, das gängige Geschlechterrollen-Klischees zu bedienen scheint. Doch Martens Inszenierung wandert die ganze Zeit auf einem sehr schmalen Grat und man fragt sich wieder und wieder, ob man das selbst so sehen will oder ob es wirklich so ist.

Jan Martens Inszenierung hat keinen typischen Verlauf, es gibt keinen wirklichen Höhepunkt, stattdessen sterben die Performance und mit ihr die Beziehung einen ganz langsamen Tod, der, wenn man aufmerksam hinsieht und fühlt, jedoch schon sehr früh einsetzt. Wunderbar auch der Kontrast zwischen den zeitlupenartigen Bewegungen der Performer und dem verdichteten Geschehen, das wie im Zeitraffer beinahe ein ganzes Leben spiegelt.

Berührend und irritierend zugleich, wie im dritten „Teil“ zu Gitarrenklängen (Musik: Jaap van Keulen) die Stimme von Cat Power erklingt und ihr lieblich-melancholischer Song das gerade stattfindende Trennungsgeschehen mit Versatzstücken aus Liebesschwüren, die auf die Bühnenrückwand projiziert werden (Videodesign: Paul Sixta), ironisch kommentiert.

Und so funktioniert die ganze Performance: Wo man tiefe Gefühle vermutet, ist es, wie im Titel angedeutet, vielleicht doch nur der Schweiß, der alles zusammenhält. Begeisterter Beifall für diese Inszenierung und das gute Gefühl, dass dieser junge Choreograf zum Thema Beziehungen auch in Zukunft eine Menge zu sagen haben wird. 

Astrid Priebs-Tröger

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