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Nicht umsonst. „Monstres – on ne danse pas pour rien“, hieß die umjubelte, hochpolitische Choreografie der kongolesischen Compagnie Baninga, die am Dienstag die Tanztage 2018 eröffnete. Der Titel war Programm: Monster – Wir tanzen nicht umsonst.

© Sebastian Gabsch

Tanztage in Potsdam: Im Flugmodus

Die kongolesische Tanzcompagnie Baninga eröffnet die Tanztage 2018 mit überbordender Energie.

Potsdam - Mit zweimal Standing Ovations begannen die Potsdamer Tanztage am Dienstagabend im Hans Otto Theater. Zuerst galt der langanhaltende Beifall Festivalleiter Sven Till, der dieses 1990 mitbegründet und von Anfang an französische Tanzkunst gefördert hat. Till erhielt dafür den Orden „Chevalier des Arts et des Lettres“, der ihm von der französischen Botschafterin Anne-Marie Descôtes feierlich überreicht wurde.

Zwei Stunden danach nochmals großer Beifall: für die grandiose Aufführung der kongolesischen Compagnie Baninga aus Brazzaville, die in Potsdam mit „Monstres, on ne danse pas pour rien“ (Monster – wir tanzen nicht umsonst) den Jahrgang 2018 mit überbordender, vibrierender Energie eröffnete. „Verloren sei uns der Tag, wo nicht ein Mal getanzt wurde!" - mit diesem Nietzsche-Zitat hatte die französische Botschafterin vorher ihre Laudatio auf Sven Till eröffnet – und eben dieses Motto könnte auch über dem Engagement von Delavallett Bidiefono stehen, der seine Compagnie 2005 in Kongos Hauptstadt gründete. Seitdem macht er nicht nur vielen Menschen in dem bürgerkriegsgebeutelten, diktatorisch regierten Land ohne Strukturen oder gar staatliche Unterstützung zeitgenössische Tanzkunst zugänglich, sondern tourt seit über zehn Jahren auch mit seinen Produktionen quer durch Europa.

Sven Till erlebte ihn 2017 in Martigues, einer Arbeiterstadt nahe Marseille, und lud ihn sofort nach Potsdam ein. Durch eine Erhöhung der Tanztage-Förderung 2018 durch das Brandenburger Kulturministerium um 60 000 Euro sei dies möglich gewesen, so Till zur Eröffnung. Und so erlebte „Monstres“ in Potsdam auch seine umjubelte Deutschlandpremiere.

Erst einmal verhüllen hierin dicke Nebelschwaden die große Bühne des Hans Otto Theaters. Ob das Wesen, das sich da im Dunkeln bewegte, Mann, Frau oder ein Geist war, ist nicht zu erkennen. Dass Tanzen für diese Tänzer nicht nur Bewegungskunst, sondern ein (Über-)Lebenselixier ist, wird schon nach dem Eingangs-Solo von Bidiefono deutlich. Überaus raumgreifend, sehr athletisch und dabei anmutig sind seine ersten Posen, die acht anderen Tänzerinnen und Tänzer stehen ihm darin nicht nach. Sie kreisen muskulös ihre Köpfe, springen ausdauernd in die Höhe, einige von ihnen vollführen sogar Saltos. Hier geht es zuerst um Selbstbehauptung, Vitalität und Lebenslust.

Und wenig später auch um Trauer und Wut. Einer der Musiker, die auf drei Podesten hoch über der Szene sitzen und mit zwei Schlagzeugen und E-Gitarre einer die bildgewaltige Performance kraftvoll vorantreiben, beginnt einen langanhaltenden hohen Klagegesang. Die jetzige Situation im Kongo, das viertgrößte Land Afrikas und eines der ärmsten der Welt, hat eine lange koloniale Vorgeschichte. Und die Republik wird bis heute von Machtmissbrauch und Misswirtschaft geschwächt. Gehen oder bleiben ist für viele im Kongo, vor allem junge Menschen, eine existenzielle Frage. Delavallett Bidiefono mit seiner Compagnie tut beides: Er macht Tanz im Kongo und unterhält Intensive Verbindungen ins europäische Ausland. Trotzig behauptet er mit „Monstres“, dass nichts umsonst, nichts ohne Wirkung sei. Sein Tanzen genauso wenig, wie das Geld, das er dafür in Europa einsammelt. Und mit dem er immer neue Projekte in Brazzaville finanziert.

Die Aufführung indes wird immer dynamischer durch die drei großartigen (Sänger-)Musiker vorangetrieben und man hat den Eindruck, dass es in dieser Compagnie vor allem um Gemeinschaft und Bündelung von jeglicher kreativen Energie geht – ja, dass Tanzen für sie eine, vielleicht die neue Rebellion sei. Nicht nur in Hinblick auf die politischen Zustände, sondern auch ganz deutlich in Richtung Geschlechterstereotype. Eine Frau mit einer steinzeitlichen Venusfigur – sie entspricht so äußerlich dem Klischee von „Mama Afrika“ – erobert die Szene und bietet den Zuschauern an, für sie Brot zu backen. Ihren nackten schwarzen Oberkörper bestreut sie mit weißem Mehl und aus diesem knetet sie zusammen mit Bier einen klebrigen Teig, in dem sie fröhlich und zornig zugleich sich selbst mitverarbeitet. Sogar das bekannte Kinderlied „Backe, backe Kuchen“ singt sie auf Deutsch dazu. Und schreit dann in einer Art Sprechgesang auf Französisch heraus, was die weltweite Neokolonialisierung seelisch mit den Betroffenen anrichtet.

„Wer hat dir gesagt, dass ich nicht fliegen will?“, schleudert sie später noch ins Publikum und man ertappt sich dabei, dass man sich diese Frage noch nie grundsätzlich gestellt hat. Zu nachdrücklich die Konzentration auf die eigenen Probleme, zu eurozentristisch immer noch die eigene und die gesamtdeutsche Sicht.

Bidiefonos „Monstres“ reißen einen da nachhaltig heraus, die Fragen, die hier gestellt werden, greifen einen immer im Innersten an. Und schließlich lässt der Choreograf auch noch einen Ikarus die Bühne erobern. Doch dieser hat nicht wie das berühmte griechische Vorbild Wachs an seinen Flügeln. Bei Bidiefono glitzern sie metallisch-golden und sind sehr solide verarbeitet. Wer sie trägt, wird nicht so leicht ins Mittelmeer stürzen.

Astrid Priebs-Tröger

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