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Tanzstück „Flugmodus“ kritisiert Digitalisierung: Ins Taumeln geraten

„Digital ist besser“, sang Tocotronic vor über 20 Jahren. Die Hamburger Band schrieb damit einer ganzen Generation einen identitätsstiftenden Song auf den pubertierenden Leib.

„Digital ist besser“, sang Tocotronic vor über 20 Jahren. Die Hamburger Band schrieb damit einer ganzen Generation einen identitätsstiftenden Song auf den pubertierenden Leib. Zur Erklärung für Nachgeborene: Die damals 15-Jährigen kamen aus einer Welt, die analog verkabelt war. Das Internet war neu, die ersten Mobiltelefone ebenso. Der technische Fortschritt bewegt sich in atemberaubender Geschwindigkeit – wobei der Mensch schon mal ins Taumeln kommen kann.

Vielleicht kein Zufall also, dass das Tanz-Musik-Stück „Flugmodus“, das am Samstag in der fabrik Premiere hatte, an Charlie Chaplins „Modern Times“ (1936) erinnert. Wie der Film erzählt das Stück teilweise slapstickhaft davon, wie Technik den Menschen überfordern kann. Bei Chaplin ist das die Arbeit am Fließband, in „Flugmodus“ von Laura Heinecke & Company und Pulsar Trio ist es die Überforderung durch unsere digitale Dauerpräsenz. Ob am Telefon oder am Computer, immer sind wir online, immer abrufbar. Eine Folge dessen: Nie sind wir nur an einem Ort. Shoppen, chatten, reisen, alles geht gleichzeitig – immer müssen mehrere Bälle in der Luft gehalten werden.

Womit wir bei einem der wichtigsten Motive von „Flugmodus“ wären. Der Tänzer und Jongleur Timothée Uehlinger zeigt in fast chaplinesken Einlagen, wie schwierig es ist, die vielen Ichs (Shopper, Chatter, Reisender), die die digitale Welt parallel ermöglicht, im Gleichgewicht zu halten. Uehlinger lässt dabei orangefarbene Bälle den eigenen Körper entlangrollen, was nur unter akrobatischen Verrenkungen möglich ist. Oder er rollt drei dieser Bälle den aufgeklappten Deckel eines Flügels hinunter, immer wieder, immer schneller. Auch wenn er sich geschickt anstellt, auf Dauer sind drei Bälle einfach zu viele für zwei Hände. Das ist das Credo der digitalen Zeit: Hauptsache Bewegung. Wer stillsteht oder schweigt, existiert nicht. „Flugmodus“ setzt dem entgegen: Wer ständig in Bewegung ist, kollabiert irgendwann. Wie Laura Heinecke, die in einer Szene besagte Bälle fängt und festhält, bis es zu viele werden. Dann fallen sie alle zu Boden, ein Scherbenhaufen. Zwischendrin läuft das sechsköpfige Ensemble kreuz und quer über die Bühne, einen Ball wie ein Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt. Alle „connected“, aber nicht miteinander.

„Flugmodus“ will bewusst das Gegenteil. Aufeinander reagieren. Das „Analog ist besser“-Prinzip. Dazu gehört die Live-Präsenz der drei Musiker von Pulsar Trio (Beate Wein, Aaron Christ, Matyas Wolter) auf der Bühne. Klavier, Schlagzeug und Sitar: eine ungewöhnliche Mischung. Wo die Musik Impulse für den Tanz liefert, die Körper auf die Töne reagieren, ist das stark. Aber in der starken Präsenz der Musik liegt leider auch die größte Schwäche des Stücks. Wo Tänzer und Musik in den fast kindlich euphorischen Finales der Szenen zusammenfließen, wo aus Frage und Antwort gemeinsame Showdowns werden, wo Pulsar Trio plötzliche große Melodiebögen spinnt und die Tänzer sich in Paartanzschritten und klassischen Hebefiguren zusammenfinden, da wirkt das nur noch illustrativ. Zwar heben da alle gemeinsam gewissermaßen ab, aber so ein Alles-wird-gut-Feeling ist dann doch ein bisschen wenig für echte Digitalismuskritik. Ein Trostpflaster vielleicht: auch Chaplin glaubte ja an die Kraft der großen, guten Gefühle. Lena Schneider

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