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Masoumeh Jalalieh und ihr Tanzpartner Seyed Alireza Mirmohammadi erzählen in sinnlichen Bildern, ohne sich zu berühren. Auch Politik und Religion sind tabu.

© Andreas Klaer

Tanz in Potsdam: Berühren verboten

Ein Tanz zwischen den Zeilen: In „Being“ arbeitete eine Isländerin mit zwei Iranern

Potsdam - Sie hat ihr eigenes Alphabet entwickelt, vorbei an den Argusaugen der Zensoren. In dem Tanz von Masoumeh Jalalieh muss man zwischen den Zeilen lesen. Wenn die junge Frau aus Teheran die Bühne betritt, ist ihr Körper bedeckt, ein Tuch verhüllt die Haare. Rücken und Po dürfen nie in Richtung Publikum zeigen. Eine Berührung mit ihrem Tanzpartner Seyed Alireza Mirmohammadi wäre wohl die schlimmste Sünde. Jede sexuelle Andeutung ist verboten.

Masoumeh Jalalieh ist über diese Eingrenzung nicht verbittert. Sie nimmt sie als kreative Herausforderung. „Ja, es sind natürlich Zwänge, aber ich habe gelernt, damit umzugehen, meine ganz persönlichen Freiheiten in den Begrenzungen zu finden.“ Eben ihr eigenes Alphabet.

Heute Abend steht sie bei Made in Potsdam mit Seyed Alireza Mirmohammadi auf der Bühne und zeigt das Stück „Being“. Eine Deutschlandpremiere. In Belgien, Frankreich und Island sei es bereits positiv aufgenommen worden, sagt sie zurückhaltend. Vor allem gab es ein großes Interesse an dem anschließenden Gespräch, das es auch heute Abend in Potsdam geben wird. Hier, in der fabrik, haben sie im vergangenen Sommer während einer Residence gemeinsam mit ihrer isländischen Choreografin Bára Sigfúsdóttir intensiv an dem Stück gearbeitet. „Im herrlichen Grün und bei lauen Temperaturen“, erinnert sich Seyed Alireza Mirmohammadi begeistert. Nun erzählen sie vor Publikum in stummen Andeutungen von den Tabus zwischen Mann und Frau, von Berührungen, die unsichtbar bleiben und nur zu ahnen sind. Doch wie tanzen, wenn es nicht mal das Wort Tanz geben darf?

Masoumeh Jalalieh erklärt in der gemütlichen Küche der fabrik, dass sie eine „Mimin“ ist. Dieses Wort umschreibe den zeitgenössischen Tanz, der in religiöser Betrachtung nicht existiere. Das Wort Tanz steht im Iran für Folklore. „Was wir tun, gibt es nicht. Es läuft unter Darstellende Kunst, unter Performance.“ Hier am geschützten Gesprächsort lässt Masoumeh ihr fliederfarbenes Tuch vom Kopf auf die Schultern rutschen und zeigt ihr in Knoten zusammengestecktes schwarz-glänzendes Haar. Auch in Teheran gibt es diese Freiheiten – hinter verschlossenen Türen. Was dort stattfindet, interessiert keinen. Dort brauchen sie kein „Alphabet“.

Doch als erstes erzählen die Tänzer auf Nachfrage von der ganz aktuellen Situation in ihrem Land. Anders als durch die Berichterstattung in den Medien vermutet, sehen die beiden keine Massenbewegung, und sie fürchten auch nicht, dass es zu einer großen Krise kommen könnte. „Es gibt eine wirtschaftliche Verschlechterung, die Lebensmittelpreise steigen, beispielsweise für Eier“, sagt Masoumeh Jalalieh. Sie wohnt in einer Ecke in Teheran, in der oft Demonstrationen stattfinden. Dieses Recht gibt es. „Aber diesmal sind wir sehr vorsichtig, weil es keine klaren Forderungen gibt. Wir wissen nicht, wer dahintersteckt, wer der Führer dieser Demonstration ist. Man kann sehr schnell auch für ein politisches Spiel instrumentalisiert werden.“ Deshalb halten sie sich zurück, sind Beobachter aus der Ferne.

Worüber die beiden Tänzer jedoch genau im Bilde sind, ist die unzulängliche Probensituation in ihrem Land. Es gebe zwar in den Theatern Räume, die sie nutzen können, aber die verfügen über keine Tanzböden. Es gibt auch keine Tanzausbildung. Masoumeh Jalalieh hat Grafikdesign studiert und sich auf zahlreichen Workshops dem zeitgenössischen Tanz genähert. Seit ihrem 18. Lebensjahr, seit acht Jahren, arbeitet sie als „Mimin“, feilt sie an der Bewegungssprache. Da ihr Vater und Bruder auch Künstler sind, gab es von der Familie immer Unterstützung.

Vom Tanz leben kann indes keiner der beiden. Seyed Alireza Mirmohammadi verkauft gerade Teppiche, Masoumeh Jalalieh versuchte sich beispielsweise als Sportlehrerin, dann unterrichtete sie Englisch. Doch alles wurde fast nicht bezahlt. Seit Kurzem ist die offenherzige junge Frau Masseurin.

„Eine fantastische“, wie Bára Sigfúsdóttir einwirft. Sie hat die Tänzer während eines Workshops 2014 in Teheran kennengelernt und war begeistert von der Bühnenpräsenz der beiden, die sie aus 30 Teilnehmern herauspickte. „Ich hatte damals keine großen Erwartungen an den Workshop und nur einen sehr eingegrenzten Blick auf den Iran. Um so mehr überwältigte mich die Qualität dieser Performer.“ Es sei in „Being“ ein sehr offenerer Probenprozess gewesen, ein Abtasten dessen, was die Tänzer ausmacht. Sie sind es gewöhnt, sich nicht zu berühren. Und dennoch geht es um die Verbindung zwischen zwei Menschen mit dem Hintergrund ihrer Geschichte - ohne eine konkrete Story. Erzählt wird über Bilder, auf sinnlicher Ebene. Religion und Politik dürfen keine Rolle spielen. Aber im Subtext sind durchaus Andeutungen herauszulesen.

„Wir sind das Ergebnis unserer Kultur und Religion, und das können wir nicht abschütteln, egal woher wir kommen, ob aus Island oder aus dem Iran. Und zu unserer Tradition gehören Poesie und die Metaphorik“, sagt Seyed Alireza Mirmohammadi, der auch Schauspieler und Theaterregisseur ist.

Es ist eine weltläufige Produktion: Die Musik komponierte maßgeschneidert der Norweger Eivind Lonning. Das Lichtdesign kommt aus Deutschland, das Kostümdesign aus der Schweiz. Verständigungsprobleme gab es keine, sagt die isländische Choreografin, die in Belgien lebt. „Egal woher wir kommen: Wir sind alle Menschen und sprechen die universelle Sprache des Körpers.“

Zu sehen heute um 20 Uhr und Freitag um 21 Uhr in der fabrik

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