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Van Goghs Stillleben erzählen von unserer Nostalgie für die Dinge, aber auch von der Distanz zu ihnen.

© Sammlung Kröller-Müller Museum, Otterlo

Symposium zu Van Gogh am Museum Barberini: Das Ende der Stilllebenmalerei

Das Museum Barberini holt im nächsten Jahr Werke von Vincent van Gogh nach Potsdam. Das Thema der Schau: Stillleben. Mit dem Künstler kam das Genre jedoch an seine Grenzen. Warum war das so? 

Potsdam - Van Goghs Stillleben läuten ebenso wie diejenigen Cézannes das Ende der Epoche der Stilllebenmalerei in Öl ein. Gewiss, beide inspirierten noch radikalere Abwendungen von einer Darstellungsweise, die doch dem Objekt, dass die Künstler studierten, verpflichtet blieben. Cézannes Analyse der visuellen Syntax und ihrer Komponenten wurde von den Kubisten in einer Malerei intellektualisiert, welche die Einheit der Bildsprache völlig preisgab und sie nur durch Montageverfahren auf der Leinwand rekonstruierte.

Van Goghs verzweifeltes Bemühen um gesteigerten Ausdruck wurde von Expressionisten wie den Mitgliedern der Dresdener Künstlervereinigung „Die Brücke“ überboten, denen die außereuropäische Kunst schriftloser Völker die Bildsprache für eine affektgeladene Betrachtung der Gesellschaft von unten an die Hand gab. Danach überlebte die Stilllebenmalerei nur noch in den entrückten Zonen surrealistischer Verfremdung oder als Vorwand für abstrakte Kompositionen. Woran mag das liegen?

Statt der Ölmalerei prägten Fotografie und Film die visuelle Kultur

Das Ende der Stilllebenmalerei ist sicherlich auch auf die Ablösung eines medialen Systems zurückzuführen, in dem die Ölmalerei die visuelle Kultur die kollektive Imagination noch entscheidend prägen konnte. Ihre Rolle übernahmen bald die Fotografie und der Film – für Walter Benjamin zugleich Medien, die zuvor unsichtbares Festhalten und das so gewonnene Wissen demokratisieren konnten.

Die Kultur des ästhetischen Alltagsobjekts, die lange ihren Ort in der Malerei hatte, wird in den Medien des analogen Bildes fortgesetzt. Ein Foto von Man Ray oder die Nahaufnahme in einem Film von Alfred Hitchcock kann Objekte metaphorisch ebenso aufladen wie ein Stillleben eines van Gogh. Die Ästhetisierung der Alltagswelt wird nun nicht mehr durch die Übersetzung in eine altehrwürdige Technik wie die Ölmalerei geleistet, sondern durch das aufblühende Design, schließlich durch die virtuellen und medialen Design-Welten, die sich heute in den Produkten einer Firma ebenso wie in ihrem Webauftritt als Gesamtkunstwerk präsentieren – für diese Kontinuitäten jenseits aller medialen Brüche hat uns der französische Literaturwissenschaftler Guy Michaud sensibilisiert.

Die Zertrümmerung überkommener Bildsprachen

Doch fiel die Stilllebenmalerei der Cézannes und van Goghs nicht einfach dem allgemeinen Medienwandel zu Opfer. Die autoreflexive Thematisierung und zugleich die Selbst-Transzendierung des Mediums der Stilllebenmalerei in Öl wäre auch ohne das Aufkommen neuer medialer Techniken kaum zu überbieten gewesen. Ihr verzweifelt kompensierender Aspekt, der sich bei van Gogh deutlicher zeigt als bei Cézanne, konnte nicht inflationiert werden. Beide Künstler haben eine Radikalisierungs-Schleife eingeleitet, die zur Zertrümmerung der überkommenen Bildsprache in den Avantgarden führte – und dort ihr Ende finden musste.

Als Figuren am Rande, ja als Ver-rückte, Entfremdete haben beide ihren Platz in der Erinnerung an den entscheidenden Bruch zwischen einer Medienwelt, in der das Ölgemälde noch einen entscheidenden Platz einnahm, und der technisierten Medienwelt, in der das Originalkunstwerken mit seiner „Aura“ überwunden wurde. Antonin Artaud, der im Frühjahr 1947 über „Van Gogh, den durch die Gesellschaft Selbst-Gemordeten“ schrieb, und Foucault, der 1961 sein erstes historisches Werk „Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft“ veröffentlichte, stehen gleichzeitig für die Verkehrung zwischen den Werten der Warenwelt und den Versuchen, daraus nicht nur in der Kunst auszubrechen.

Van Gogh als Entfremdeter entzog sich der modernen Warenwelt

Artaud stellte die Wahrheit jener Welt, die van Gogh auch in seinen Stillleben herbeisehnte, über die der Bürger, die ihn letztlich im Frühjahr 1889 in eine geschlossene Anstalt getrieben haben. Foucault sah in den Asylen der „Aliénés“ (Entfremdeten), all jener nutzlosen Vagabunden und Geisteskranken, die seit dem Zeitalter der Vernunft aus dem Kreis der Produktiven ausgegrenzt wurden, und der Durchsetzung aufgeklärter Standards ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis. „Raison“ (Verstand) und „Dé-Raison“ (Unverstand) waren für ihn nur die Kehrseiten einer Medaille, und er machte keinen Hehl daraus, dass er die „Aliénés“, die „Entfremdeten“, auf der Seite der Unvernunft für interessanter hielt als die Vertreter modern-liberaler Lebensordnung. Van Gogh war ein „Aliéné“, der sich an der Schwelle zum Durchbruch der modernen Warenwelt dieser entzogen hatte – und gerade dadurch am Kunstmarkt heute alle Preise gesprengt hat, mit denen man ein einzelnes Objekt noch beziffern kann. Als Gestalt unserer visuellen Erinnerungskultur ist van Gogh eine Figur des medialen Bruchs, der sich als Riss noch durch unsere Praxis zieht.

Sein Werk markiert bis heute die Abrisskante zwischen einer Welt, die vielleicht irgendwem einmal vertraut war – doch weder ihm selbst als Maler noch uns als den Betrachtern seiner Bilder.

Van Gogh malt uns hinter die Lügen der Postmoderne zurück

In der Welt der industriell hergestellten Objekte sind die Dinge bedeutungslos geworden. Sie sprechen nicht mehr vom Leben, sondern nur noch von den Versprechungen, mit denen sie durch Werbung, Marketing und Branding aufgeladen wurden, oder vom Status ihrer Benutzer. Ihren Sinn finden sie in all diesen Phantasmen, denen die zynische Vernunft der Postmoderne erliegt, obwohl sie die dahinterstehenden Lügen immer schon durchschaut hat, und zwar noch bevor die ökologischen Wirkungen der Verpackungswelt erkannt worden sind.

In dieser Welt basiert das Verhältnis zu den Dingen des täglichen Gebrauchs auf einer Lüge, jedoch einer täglich gelebten Lüge. Van Gogh malt uns hinter diese Lüge zurück, gerade indem er sie auch festhält. Er zeigt unser gestörtes Verhältnis zu den Dingen: zugleich der Nostalgie nach Einheit mit dem Zu-Handenen, das wir ständig in Gebrauch haben, und die unwiederbringliche Distanz dazu.

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Der Autor ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Eichstätt-Ingolstadt. Sein Text ist ein Auszug aus einem Vortrag, den er am 5. Dezember 2018 im Museum Barberini bei einem Symposium zur 2019 geplanten Ausstellung mit van Goghs Stillleben gehalten hat.

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Das Museum Barberini zeigt vom 26. Oktober 2019 bis 2. Februar 2020 in Kooperation mit dem Van Gogh Museum Amsterdam und dem niederländischen Kröller-Müller Museum Otterlo die Ausstellung „Van Gogh. Stillleben“. Anhand von über 20 Gemälden sollen hier in entscheidenden Etappen im Werk van Goghs analysiert werden. Zur Vorbereitung fand das 8. Symposium am Museum Barberini statt, bei dem internationale Van-Gogh-Experten zu Gast waren, neben Michael F. Zimmermann auch Sjraar van Heutgen. Die Beiträge sollen in einem Ausstellungskatalog erscheinen. 

Michael F. Zimmermann

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