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Symposium: Potsdam Museum über Herwarth Walden: „Walden wollte das Extremste“

Beim ersten Symposium des Potsdam Museums wird Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main, über den eigenwilligen Galeristen Herwarth Walden sprechen.

Frau Pfeiffer, beim Symposium im Potsdam Museum werden Sie über ein – wie es heißt – bislang unbekanntes Kapitel der Avantgarde in Deutschland sprechen, nämlich Herwarth Walden und seine Sturm-Künstlerinnen. Was macht den Galeristen Walden so besonders?

Walden hat etwa Wassily Kandinskys Schrift Über das Geistige in der Kunst von 1911 als erster publiziert. Er hat Marc Chagall entdeckt, die Futuristen ausgestellt, aber auch die Künstler der Gruppe Blauer Reiter. Er hat, ganz am Anfang, auch Oskar Kokoschka aus Wien nach Berlin geholt. Erst mit ihm wurde Berlin zum Zentrum der Avantgarde, vorher war das München.

Allein sein guter Riecher macht ihn zwar zu einem guten Galeristen – so ungewöhnlich ist das aber noch nicht.

Nun, Walden hat – sofort nach Gründung der Galerie 1912 – auch Frauen gezeigt, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin, hat Natalja Gontscharowa und Alexandra Exter Einzelausstellungen angeboten, obwohl sie – im Gegensatz zu den Männern – damals noch gänzlich unbekannt waren. Das ist schon ziemlich erstaunlich, denn hat man gerade eine Galerie gegründet, will man normalerweise erst einmal Künstler zeigen, die schon etabliert sind, die Besucher und Käufer locken. Waldens Kollegen Paul Cassirer, die Kunsthändler Alfred Flechtheim oder auch die Brüder Nierendorf hatten immer auch etablierte Positionen im Programm. Aber alle außer Walden hatten, wenn überhaupt, höchstens eine Handvoll Frauen im Programm, viele aber sogar gar keine. Daran sieht man, wie die Stimmung war.

Die Künstlerinnen hatten es schwer. Dabei hatte die Moderne, so schreibt die FAZ über Ihre Ausstellung in der Schirn, nicht nur auch Frauen zu bieten – sie wäre ohne diese Frauen gar nicht möglich gewesen. Warum sah nur Walden ihr Potenzial?

Das ist natürlich schwer zu sagen. Er hat, das hat er selbst immer betont, nicht auf die Künstler als Person geschaut, sondern nur auf die Arbeiten. Er wollte das Neue, auf allen Ebenen. Das Extremste, das nicht Abgesicherte. Und: Er wollte provozieren. Er schrieb etwa an Arnold Schönberg, als der in Wien eine wahnsinnige Empörung hervorgerufen hatte. Das gefiel Walden, daraufhin wollte er ihn unbedingt ausstellen.

Wie haben Waldens Galeristen-Kollegen auf ihn reagiert?

Er wurde von den Künstlern bewundert und von den Kollegen angefeindet. Er war eben auch apodiktisch in seinen Aussagen, fing mit allen Streit an, aber nie wegen persönlicher Befindlichkeiten. Ihm ging es immer um die Kunst. Er hatte sich auch gegen seine Eltern aufgelehnt, studierte Komposition und Klavier statt etwas Solides, und er distanzierte sich von Anfang an vom bürgerlichen Leben.

Insofern war er ein Kind seiner Zeit.

Ja, es herrschte eine Aufbruchsstimmung. Das lässt sich auch an den Titeln der anderen Zeitschriften, die damals – neben der von Walden gegründeten „Sturm“-Zeitschrift – entstanden, ablesen: „Die Fackel“, „Die Aktion“. Sie bedeuteten ein Auflehnen gegen das verknöcherte wilhelminische System.

Wie kam Walden eigentlich zu seinem Namen? Ursprünglich hieß er ja Georg Lewin?

Den gab ihm seine erste Ehefrau, die Dichterin Else Lasker-Schüler. Der Name ist ein Zitat von Thoreaus konsumkritischem Essay "Walden. Oder Hüttenleben im Walde". Dieses Antizivilisatorische, das darin steckt, klang wohl gut für sie. Auch der Name „Sturm“ für die Galerie und die Zeitschrift stammt von ihr.

Vor starken Frauen hatte er offenbar weder beruflich noch privat Angst, mit einer Frau wie Lasker-Schüler an seiner Seite.

Nein, und auch seine zweite Ehefrau – Nell Roslund – war extrem eigenständig. Sie war jung und wirkte immer wie eine fröhliche, unbeschwerte Schwedin, organisierte aber alles und verdiente als Journalistin das Geld für den Sturm, vor allem während des Krieges.

Lief die Galerie denn nicht gut für Walden?

Nun, andere Galeristen waren auch Idealisten, hatten aber mehr geerbt. Walden war eher hemdsärmelig, proletarisch. Sein Vater war Arzt, aber von einem Erbe konnte er seine Galerie, die Zeitschrift nicht finanzieren. Zuvor hatte er für literarische Zeitschriften geschrieben, auch da hatte er nicht viel verdient. Er sparte sich alles zusammen, reinvestierte alles gleich wieder, er selbst lebte spartanisch. Und das, obwohl es Sturm-Ausstellungen in fast jeder deutschen Stadt gab und darüber hinaus in Skandinavien, Tokio und New York. Aber Luxus gab es bei ihm nicht, er und Nell aßen zum Beispiel sehr frugal: Einmal am Tag gab es eine kleine warme Mahlzeit, ansonsten Tee und belegte Brote, es gab keine Urlaube, alles wurde geteilt. Das war schon sehr kommunistisch geprägt.

Das entsprach ja seinem politischen Ideal.

Ja, Walden wurde Kommunist, er war eben auch ein sehr großer Idealist. Und viele sahen damals in der neu gegründeten Sowjetunion eine neue Hoffnung, wie ja auch etwa Bertolt Brecht. 1932 floh Walden dann auch vor dem aufziehenden Nationalsozialismus nach Moskau.

Wo er ja 1941 inhaftiert wurde und noch im selben Jahr in der Haft umkam.

Ja, er galt als Spion, obwohl er dort nur als Lehrer und Publizist arbeitete. Aber das Deutsche Reich und die Sowjetunion waren im Krieg.

Ist Waldens Rolle bis heute unterschätzt?

Vor den Ausstellungen in der Schirn und im Potsdam Museum, die gerade zeitgleich stattfinden, und die sich mit den Sturm-Frauen beschäftigen, gab es 2012 eine große allgemeine Sturm-Ausstellung im Von der Heydt-Museum in Wuppertal. Aber die Forschung zum Sturm ist natürlich noch nicht abgeschlossen.

Und vorher?

Vorher gab es in der DDR schon ein Buch von Georg Brühl, da sind alle Fotos veröffentlicht, die es zu dem Thema gibt. Anfang der 1960er-Jahre kam in Berlin außerdem eines zum Sturm heraus. Das waren allerdings schon immer vereinzelte Veröffentlichungen. Und auch zu den Frauen, die Walden ausstellte, findet sich wenig in der Literatur und es gab auch lange kaum Einzelausstellungen zu ihnen. Nur die russische Avantgarde betreffend war das etwas anders – die scheinen da offener gewesen zu sein. In Moskau gab es schon 1915 eine erste Ausstellung, bei der 5 von 10 Künstlern Frauen gewesen sind. Viele von ihnen wurden aber nicht so berühmt.

Weil sie Frauen waren und man ihnen deshalb die Qualität absprach?

Auch, aber viele Frauen hatten es auch aus anderen Gründen schwer. Manche starben im Kindbett, vielen fehlte die wirtschaftliche Grundlage, sich zu etablieren. Sie sind auch Beispiele für die „verschollene Generation“, die vor dem Bruch des Nationalsozialismus zu wenig Zeit hatten, um richtige Erfolge zu feiern und etwa in Museumssammlungen zu gelangen. Bei den Frauen sind die künstlerischen Lebensläufe noch brüchiger, noch komplizierter als bei den Männern, die auch unter den Zeitumständen leiden mussten. 

 

Derzeit scheint man Walden und seine Sturm-Frauen zu entdecken. Sie zeigen in der Schirn die große Jahresausstellung zu dem Thema, das Potsdam Museum widmet sich Magda Langenstraß-Uhlig und ihren Zeitgenossinnen, die Villa Liebermann den „Frauen der Secession“ und das Stadtmuseum Berlin plant ebenfalls eine Ausstellung. Warum gerade jetzt?

Naja, es gab auch schon vorher Forschung und Ausstellungen zu dem Thema, bei uns in der Schirn 2008 eine Vorläufer-Ausstellung zu den Impressionistinnen. Und die Entwicklung geht bestimmt auch noch weiter. Von den über 30 Sturm-Frauen zeige ich in meiner Ausstellung lediglich 18. Mein Anliegen war es, jeder der 18 Frauen einen eigenen Raum zu geben – egal, ob das nun bekannte Künstlerinnen sind wie die Russin Marianne von Werefkin oder weniger bekannte, wie Magda Langenstraß-Uhlig, die ich auch zeige. Aber es stimmt schon: Es ist ein kleiner Trend, seit etwa zehn Jahren, sich mit diesem Aspekt der Moderne zu befassen. Damit, dass es überhaupt auch Künstlerinnen gab. Das hat sicherlich auch mit der feministischen Forschung zu tun, die eben zeigt: Die Kunstgeschichte muss umgeschrieben werden.

Die gesamte Kunstgeschichte?

Ja, es gab ja schon im Mittelalter gebildete Nonnen wie Hildegard von Bingen, denen wir viele der illuminierten Handschriften verdanken, aber viele blieben auch namenlos. In der Renaissance werden die ersten großen Künstlerinnen namentlich genannt, wie etwa Sofinisba Anguissola, im Barock Artemisia Gentileschi, im Klassizismus Angelika Kauffmann, aber das sind nur wenige bekannte Beispiele. Es gab immer Künstlerinnen, Tausende, denn Kunst war primär ein Handwerk, das von Familien mit Schwestern und Töchtern ausgeübt wurde. Das wird nach wie vor verschwiegen. Noch im frühen 20. Jahrhundert verhinderte Kaiser Wilhelm I, dass Frauen Staatliche Akademien besuchen durften, ließ sich selbst aber von einer Frau porträtieren.

Warum weiß man so wenig darüber?

Viele Arbeiten sind verschollen. Und die Kunstgeschichte wurde im 19. Jahrhundert von Männern verfasst. Das wirkt bis heute nach. Man darf sich auch jetzt nicht täuschen lassen, denn das aktuelle Interesse an den Avantgarde-Künstlerinnen ist bisher nur ein kleiner Trend. Immer noch gibt es insgesamt verschwindend wenige Ausstellungen zu dem Thema, auch wenn das medial vielleicht anders wahrgenommen wird. Ausstellungen mit weiblichen Künstlern gelten eben immer noch als Besonderheit. Dabei muss man wissen: Etwa 70 Prozent unserer Besucher sind Frauen. Und sie sehen immer noch fast ausschließlich Kunst von Männern. Das Ganze ist ein Riesenthema, da gibt es noch 50 Jahre lang Stoff für Ausstellungen.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

ZUR PERSON: Ingrid Pfeiffer, geboren 1966, ist seit 2001 Kuratorin an der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main. Dort hat sie unter anderem die neue Ausstellung „Sturm- Frauen“ kuratiert.

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