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Hier lässt er alle rein. Berlins berühmtester Türsteher und Fotograf Sven Marquardt sieht inmitten seiner Bilder aus wie sein eigenes Model.

© A. Klaer

Sven Marquardt stellt im Waschhaus Potsdam aus: Dokumentar der Subkultur

Abgeblitzt: Berlins Türsteher-Ikone und Szenefotograf Sven Marquardt stellt 60 seiner Fotografien im Waschhaus Potsdam aus. Was den Zuschauer dort erwartet.

Potsdam - Er klingt ein bisschen überrascht, angenehm überrascht. Auf die Frage, wie es ihm geht inmitten all seiner Bilder, schürzt Sven Marquardt die Lippen, so dass es für einen Moment fast aussieht, als würde er lächeln, und sagt: „Ist ein schönes Gefühl.“ 60 Fotos des Berliner Fotografen zeigt jetzt der Waschhaus Kunstraum, zum ersten Mal eine Art Werkschau unter klassischen Bedingungen.

Fotos nicht im Berghain, sondern im Waschhaus Potsdam ausgestellt

Keine losen Posterdrucke wie Tapete an die Wand genagelt, wie das zum Berghain, dem Berliner Techno-Club, passen würde. Zum Zehnjährigen hatte dort auch der hauseigene Türsteher Marquardt seine Szenebilder gezeigt. Nein, in Potsdam ist er nur Künstler, nicht der Mann, der am Einlass des Berghain entscheidet, wer rein darf oder nicht. Hier hängen hochwertige Drucke mit Passepartous und ordentlichen Rahmen. Zum Aufbau ist Marquardt mit der S-Bahn aus Berlin gekommen, dabei lerne er immer nette Leute kennen, sagt er. Jetzt ist er zufrieden. Das sind doch tolle Räume hier, das habe er gleich bei seinem ersten Besuch in Potsdam gesehen.

Mike Geßner, Kunstraum-Kurator, hatte ihn lange angebaggert. „Seine Bilder kenne ich seit 30 Jahren. Und wir hatten Kollegen von ihm hier, aber ihn selbst noch nicht. Jetzt war er dran.“

Marquardt unterrichtet Fotografie an Ostkreuz-Schule

1962 wird Marquardt im Ostteil Berlins geboren. Er ist Punk und auch noch schwul, in den 1980ern nicht gerade das, was im Osten überall gut ankommt. Er macht bei der Defa in Babelsberg eine Fotografenlehre und arbeitet anschließend als Modefotograf für die Zeitschrift Sibylle. Ein Leben in der Nische. In einer Welt, die man sich machte. Die es so ja gar nicht offiziell gab. Auch Fotos aus dieser Sibylle-Zeit hängen jetzt im Kunstraum. Junge Frauen mit Netzschleier oder Kapuzen, dazu immer dieser samtene Blick zur Kamera. Oder nach innen. Irgendwie anders. „Schönheit und Vergänglichkeit“, das sei sein Thema, sagt Marquardt, da passe eigentlich alles rein. Gerade hat er dazu seine Studenten arbeiten lassen. Marquardt unterrichtet seit einem Jahr an der Berliner Ostkreuz-Schule für Fotografie.

Natürlich ist Sven Marquardt kein typischer Modefotograf. Nie gewesen. Auch wenn Mode und Styling, wie er sagt, ihn bis heute interessieren. Er selbst ist schließlich eine einzige Inszenierung. In seiner Autobiografie, erschienen im vergangenen Jahr, schreibt er, als Punk sei er ungestylt nicht mal zum Milchholen über die Straße gegangen.

Keine Schnappschüsse

Die Menschen in Marquardts Bildern sind Mittel zum Zweck. Sie provozieren, einfach weil sie anders sind, frech, klischeegeladen, traurig, sanft und brutal, absurd. Sie bieten dem Betrachter Geschichten an. Krümel, Brocken, die man aufpicken und weiterdenken kann. Warum sitzt die Frau auf der Treppe, auf dem Koffer? Warum die zwei Männer im Boot, zusammengeschnürt in einer Zwangsjacke, ohne Ruder?

„Ich arbeite immer mit einem Plan, einem Konzept“, sagt Marquardt. Mal spontan nebenbei etwas fotografieren, Schnappschüsse, das ist nicht so seins. Er hat zuerst die Idee im Kopf. Bis alles stimmt mit Model, Ort und Requisite, das sei immer ein immenser Aufwand. Wenn dann noch zufällig Regen dazukommt wie bei dem Bild mit dem Ruderboot, birgt das eine extra Portion Komik.

Typen herausarbeiten

Fotografiert er heute anders als vor 30 Jahren? Ja, sagt er, irgendwie schon. Früher hat er mehr Frauen fotografiert, hat mit mehr Gedöns gearbeitet, die Models mit Skulpturen, Grabsteinen, Kerzen und Pelzmänteln vom Flohmarkt in Szene gesetzt. Und manches, was ihm bei seiner privaten Werkschau in die Hände geriet, habe er auch besser im Schrank gelassen, sagt er. Heute sind es zudem eher Männer, die er fotografiert und immer mehr die Menschen an sich, die er verwendet. Er hat einen Blick dafür, die Typen herauszuarbeiten, die sich irgendwie mit dem, was man da im Gedächtnis hat, decken. Die etwas abrufen. Man hat das alles schon irgendwo gesehen. Den alten Herrn zum Beispiel, der würdevoll dasitzt, auf seinen Schultern liegen die Hände von zwei Männern.

Seine Lieblingsbilder heute sind die Porträts von Kollegen. „Rudel“ hat er die Wand betitelt. Männer, Türsteher wie er, auch DJs aus dem Club, schrill, schräg, anders. Ohne laut zu sein, sind sie da aufgebaut, verdrehte Köpfe oder Gesichter, die sich der Kamera hingeben. Einfach so. Sich selbst ernst nehmen. Oder gerade das eben doch nicht? Ist alles Show, ist Marquardt ein großer Spieler?

Ein Schrein für das Verrückte

Dokumentar der Subkultur wird er gern genannt. In dem weitläufigen Ausstellungsparcours im Kunstraum nimmt man ihn als Erzähler war. Als jemanden, dem es Spaß macht, das Andere aufzuspüren und diesem einen Rahmen zu geben. Das alles hat etwas Würdevolles. Zwischen den Wänden steht dann der Fotograf selbst, als wäre er gerade aus seinem eigenen Porträt gesprungen. Das hängt im ersten Obergeschoss. Er hat sich einen Spaß gemacht und sich in Farbe fotografiert. Ein paar Meter weiter in der breiten Dachgaube hängt das frontale Brustbild eines Mannes mit Jesus-Frisur, die halb geschlossenen Augen sind weiß. Zusammen mit zwei Kampfhunden rechts und links und Neonleuchten wie eine Art Heiligenschein ergibt das ein krudes Triptychon. Ein Schrein für das Verrückte. Das Entrückte. Oder einfach nur ein Spaß.

„Marquardt“, Vernissage mit Sven Marquardt und Kunstexperten Christoph Tannert am heutigen Donnerstag um 20 Uhr im Kunstraum Waschhaus in der Schiffbauergasse. Die Ausstellung ist bis 18. Oktober zu sehen.

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