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Kultur: Streitbar, empfindsam und subtil Das Festival für neue Musik „Intersonanzen“

Anders als frühere Jahrhunderte bringt die heutige Zeit nun einmal andere Tonfolgen und Geräusche hervor, weniger Harmonien, dafür jede Menge Atonales. Dissonanzen bestimmen ohnehin jeden Tag des Eisernen Zeitalters, darin wir gerade leben.

Anders als frühere Jahrhunderte bringt die heutige Zeit nun einmal andere Tonfolgen und Geräusche hervor, weniger Harmonien, dafür jede Menge Atonales. Dissonanzen bestimmen ohnehin jeden Tag des Eisernen Zeitalters, darin wir gerade leben. Das Festival für neue Musik „Intersonanzen“ versucht, solche Bewegungen darzustellen, in seiner elften Auflage auch mit russischen und ungarischen Anteilen.

Streitbar, empfindsam und subtil soll es an diesem und dem nächsten Wochenende an drei Spielorten zugehen, aber natürlich auch „brandenburgisch“, wozu nicht nur namhafte Gegenwartskomponisten gerechnet werden, auch Studenten der Filmhochschule HFF, die am Sonnabend im Filmmuseum für die Neuvertonung von Walter Ruttmanns Klassiker „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ (1927) sorgten. Mit dem „Moscow Contemporary Music Ensemble“ (Leitung Alexei Vinogradov) konnte ein Spitzenensemble der Neuen Musik gewonnen werden. Unvergesslich, wie so vieles, was der Brandenburgische Verein Neue Musik als Veranstalter im zwanzigsten Jahr seiner Existenz so anbietet.

Schon der freitägliche Auftakt mit dem Hermann-Keller-Quartett im Nikolaisaal-Foyer war edle Sahne. Das hauseigene Klavier durfte zwar nicht präpariert werden, aber des Maestros Hände auf Tasten und Flügel-Saiten zauberte auch so hervor, was Herz und Ohr entzückte. Ein Entree mit Wassertrommeln, zu dem sich nach und nach Antje Messerschmidt (Violine), Jürgen Kupke (Klarinette) und Uli Weber an der Trompete gesellten, allesamt höchst virtuose Künstler. Am Anfang und am Ende standen wilde, schwer zu zähmende Improvisationen, die mit Leichtigkeit nun alles boten, was der neuen Kunstmusik an Varia nur möglich ist. Inmitten eine aberwitzige „Hymne“ und das höchst komplexe Stück „ganz einfach“. So manche Passage war auf der Kante zum Modern Jazz oder schon darüber. So viel Disziplin, Können, Spielfreude und natürlich Fantasie – dabei musste das Publikum einfach in Extase geraten!

Moskaus führendes Ensemble der Moderne stellte sich nach seinem Auftritt im Filmmuseum mit einem genauso erlesenen Konzertprogramm im schmucklosen Foyer des Nikolaisaals vor. Die Matinee hatte es wirklich in sich, nicht unbedingt wegen der Uraufführung von Peter Köszeghys Klagestück „Keen“, sondern weil hier die Auseinandersetzung, ja der kompositorische Kampf, mit der und um die Gegenwart am klarsten aufschien – streitbar, empfindsam, subtil, na klar.

In Georgy Dorokhovs „Particules elementaires“ für Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier etwa soll eine nicht aufgeführte Komposition aus einzelnen Klängen rekonstruiert werden, was selbst die Pausen zu Kunstwerken werden lässt. Helmut Zapf schuf mit „Albedo VIII“ für Altflöte, Cello und Klavier eine so überzeugende Synthese aus modernen Klangbildern und traditionellen Kompositionsteilen, dass man dieses Werk mit der Klangfarbe „Weiß“ schon heute zu den Klassikern von morgen zählt. Anton Safronov komponierte sich mit „Sentimento...“ ein lebendes Eingedenken an seinen verstorbenen Lehrer Edison Denisov. Oleg Paiberdin versuchte mit „Guo Hua“ ein chinesisch anmutendes Thema „synästhetisch“ zu packen.

Das Moskauer Septett aus Streichern und Bläsern interpretierte diese und weitere Kompositionen von innen her mit aller Liebe und so viel Virtuosität, bis manch Hiesiger einräumte, so komplizierte – kontrapunktische – Strukturen selber nicht spielen zu können. Dreimal Chapeau für jedes einzelne Stück! Am ersten Festival-Wochenende zeigte sich somit einmal wieder, wie sehr die neue Musik zuerst der Gegenwart folgt und erst dann der Kunst, und welche neuen Ausdrucksmittel sie dabei am Wege findet. Toll! Gerold Paul

Gerold Paul

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