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Kultur: Stille Heldin

Schmitz“ Denkschrift gegen die Judenverfolgung

„Als Ausnahme von der Regel des Schweigens“, würdigte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer diesjährigen Gedenkrede anlässlich der Kristallnacht vom 9. November 1938 die deutsche Theologin und Pädagogin Elisabeth Schmitz. Und der Berliner Historiker Manfred Gailus bezeichnet sie am Mittwochabend während einer Buchpräsentation in der Potsdamer Stiftungsbuchhandlung gar „als aufgehenden Stern am Protestantenhimmel des 21. Jahrhunderts“. Wer war diese Frau, die in der Zeit des Nationalsozialismus als eine der wenigen ihre Stimme mutig gegen dessen „rassische“ Verfolgungen erhob?

Elisabeth Schmitz wurde 1893 als Tochter eines Gymnasialprofessors in Hanau geboren. Sie studierte Geschichte, Theologie und Germanistik in Bonn und Berlin. 1920 schloss sie ihre universitäre Ausbildung mit einer Promotion ab, und ging, weil es ihr als Frau in dieser Zeit verwehrt war, eine höhere wissenschaftliche Karriere zu machen, in den Schuldienst. Nach mehreren Jahren mit befristeten Verträgen erhielt sie 1929 eine feste Anstellung als Studienrätin an der Luisenschule in Berlin-Mitte. Sie war politisch aufgeschlossen und außerordentlich interessiert, engagierte sich schon früh für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen und schätzte von Anbeginn den nationalsozialistischen Staat bemerkenswert realistisch ein, dessen Unrechtscharakter sie bald erkannte.

Seit dieser Zeit stand sie in Korrespondenz mit prominenten Theologen und führenden Repräsentanten der Bekennenden Kirche und setzte sich für eine konsequente und unmissverständliche Stellungnahme der evangelischen Kirche zur „Judenfrage“ ein. Persönlich nahm sie ihre Freundin, die jüdische Ärztin Martha Kassel, solidarisch bei sich in der Wohnung und andere Verfolgte in ihrem Wochenendhaus auf. 1935 wird sie wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem NS-Staat an eine andere Schule versetzt. Doch schon ein paar Jahre später „flieht“ sie unter dem erschütternden Eindruck der Reichskristallnacht mit nur 45 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand.

Doch nicht nur diese ungewöhnliche persönliche Courage zeichnen diese Frau aus. 1935 verfasste sie anonym eine 19-seitige Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“, in der sie ausführlich die Not der verfolgten Juden beschrieb, vervielfältigte diese in 200 Handabzügen und legte sie den Synoden der Bekennenden Kirche vor. Doch ihre Hoffnung auf Einschreiten der Verantwortlichen wurde auch diesmal enttäuscht. Nur einmal konnte sie ihr Anliegen wahrscheinlich öffentlich machen. Die berühmte Bußtagspredigt von Helmut Gollwitzer am 16. November 1938, unmittelbar nach der Reichskristallnacht, ist möglicherweise durch ihre Gedanken und den gegenseitigen Austausch inspiriert gewesen. Professor Manfred Gailus, der mit anderen eine Tagungsdokumentation zu Leben und Werk von Elisabeth Schmitz herausgegeben hat, arbeitet inzwischen an einer ausführlichen Biografie dieser zu Unrecht vergessenen Frau, die 1977 „unerkannt“ starb. Denn erst zwei Jahrzehnte später „enthüllte“ eine ihrer Schülerinnen die Verfasserin. Schmitz hatte auch nach dem Krieg darüber kein Wort verloren und sich schon 1950 im wiederaufgenommenen Schuldienst in einem Gedenkvortrag mit dem Holocaust beschäftigt.

In der vollbesetzten Stiftungsbuchhandlung lauschten gutinformierte und wissbegierige Zuhörer dem mehr als zweistündigen – an einigen Stellen etwas zu professoralem – Vortrag und bekundeten, noch mehr über diese stille Heldin erfahren zu wollen. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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