zum Hauptinhalt

Kultur: Steine auf der Seele

„Gesicht zur Wand“ im Filmgespräch

Keine Hand rührte sich zum Beifall. Und die mehr als 100 Besucher im Filmmuseum brauchten auch noch eine ganze Weile, um sich aus ihrer Erschütterung zu lösen, als der Dokumentarfilm „Gesicht zur Wand“ zu Ende war. 85 Minuten lang hatten sie konzentriert fünf sehr unterschiedlichen Menschen zugehört, die wegen versuchter Republikflucht als politische Häftlinge in DDR-Gefängnissen eingesperrt waren.

Anne K., Catharina M., Mario R., Andreas B. und Lothar R. sprachen eindringlich von ihren persönlichen Erlebnissen. Ihre Schicksale erhellten – stellvertretend für 72 000 inhaftierte Republikflüchtige – die menschenverachtenden Methoden der Staatssicherheit und darüber hinaus die allgegenwärtige Gängelung der DDR-Bürger. So deutlich, dass eine Zuschauerin, die in den 60er Jahren hier geboren wurde, sich in der anschließenden Diskussion persönlich dafür bedankte, dass ihr mit diesem Dokumentarfilm von Stefan Weinert auf ungewöhnlich klare Weise die Augen über das Wesen des untergegangenen Unrechtsstaates Deutsche Demokratische Republik geöffnet wurden.

Stefan Weinert, 1964 in Köln geboren, arbeitete zuerst als Schauspieler, Bühnenbildner und Theaterregisseur, wurde während längerer Spanienaufenthalte immer wieder mit der jüngsten deutschen Geschichte konfrontiert. Zurück in Berlin hörte er von eigenen Kollegen spektakuläre Stasigeschichten. Er entschloss sich jedoch, ganz normale Menschen vor seine Kamera zu holen, um die Allgegenwärtigkeit des Regimes zu zeigen. Seine Protagonisten sind Lehrer, Landwirte oder Restaurantfachkräfte, die entweder sehr jung oder im reifen Erwachsenenalter die Unterdrückungsmechanismen nicht mehr erdulden, sondern in Freiheit leben wollten.

Es ist sensationell, wie in diesem Film, der sich durch kongeniale Schnitte auszeichnet, allein durch Erzählen ein Kaleidoskop des DDR-Alltages der 60er bis 80er Jahre vor dem Auge des Zuschauers entsteht. Die Kamera (Lars Lenski) geht dabei dicht an die Menschen heran und lässt sie nicht nur aussprechen – manche anfangs gegen eigene innere Widerstände, wie Andreas B. während der Podiumsdiskussion sagte – welche Steine ihnen noch immer auf der Seele liegen. Sondern sie zeigt sensibel aber deutlich die Spuren des Erlebten auch in den Gesichtern der Opfer. Der Film spart nicht deren tiefe Enttäuschung und Wut über die fehlende Aufarbeitung sowie die nicht angemessene Bestrafung der Täter nach dem Mauerfall aus.

Dass sich die Opfer trotz nachwirkender Traumata und des verordneten Schweigegebots vielfältig bei der Aufarbeitung der Diktatur engagieren, zeigt einmal mehr ihre menschliche Größe. Das nötigt dem Zuschauer genauso Respekt ab wie ihre erklärte Bereitschaft, mit den Tätern zu sprechen. Andreas B. bekräftigte noch einmal seinen ungebrochenen Freiheitswillen und verlangte Respekt aber kein Mitleid für sich. Regisseur Stefan Weinert will mit seiner Dokumentation „Gesicht zur Wand“ dazu beitragen, gerade bei jungen Leuten in Ostdeutschland das Unwissen respektive die Verklärung von DDR-Geschichte zu überwinden und die Mechanismen der Diktatur, die bis in den persönlichen Alltag wirkten, offen legen. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

Zur Startseite