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in Thema der 31. Tanztage ist die Frage, wie uns Herkunft prägt. 

© Sammi Landweer

Start der Potsdamer Tanztage: Kulturmuskeln in Bewegung

Nach zweijähriger Ausnahmezeit beginnen am Dienstag die 31. Tanztage – mit 14 Stücken aus aller Welt. Sechs Produktionen sind erstmals in Deutschland zu sehen.

Potsdam - Nur wenige Monate nachdem die längste Festivalausgabe in der Geschichte der Potsdamer Tanztage zu Ende ging, holt die fabrik wieder Anlauf zum Sprung. Ende Dezember endete die coronabedingt auf sieben Monate gestreckte 30. Jubiläumssaison des Tanzfestivals – und heute, knapp fünf Monate später, stürzt es sich in seine 31. Ausgabe. Bis zum 22. Mai kommen 14 Künstler:innen nach Potsdam ins Zentrum für Tanz- und Bewegungskunst. Sechs Produktionen sind erstmals in Deutschland zu sehen, eine zum ersten Mal in Europa.

„Im Vergleich zu Vorjahren wird das mit 28 Aufführungen eine eher große Ausgabe“, sagt Festivalleiter Sven Till. Er verhehlt aber auch nicht, dass er das Gefühl hat, die Tanztage müssten sich erst wieder neu finden. „Wie geht eigentlich Festival?“, das haben er und sein Team sich mehr als einmal in der Vorbereitung gefragt. „Es ist, als müssten die kulturellen Muskeln erst wieder trainiert werden.“ Auch beim Publikum, sagt Till. Der etwas zögerliche Vorverkauf zeigt es.

Gäste aus aller Welt präsentieren sich

Der Pandemie hat die fabrik nicht nur ein mit Zähigkeit und Ausdauer gefeiertes 30. Jubiläum abgetrotzt, sondern auch zwei neue Formate. Das neue Residenzprogramm „Dance in Residence“, mit dem mehr als zuvor der Schulterschluss mit Orten in Potsdam und der Region gesucht wird, und „Explore Dance“, der Versuch, mithilfe eines deutschlandweiten Netzwerkes Tanz für Kinder und Jugendliche dauerhaft als eigene Sparte am Haus zu verankern. Den überregional strahlenden Leuchtturm Tanztage parallel dazu zu stemmen sei keine Kleinigkeit, sagt Till.

Festivalleiter Sven Till.
Festivalleiter Sven Till.

© Andreas Klaer

Dennoch, was zwei Jahre nicht möglich war, wird ab Dienstag wieder Realität: Gäste aus aller Welt stellen Besucher:innen zwei Wochen lang vor die Qual der Wahl. Es eröffnet im Hans Otto Theater die kanadische Rubberband Company mit „Ever so slightly“. Thematisch hat sich in diesem Jahr ein Fokus auf Herkunft herausgeschält, sagt Sven Till. Wovon bin ich geprägt, wie gehe ich damit um – und was bedeutet die konkrete Geschichte meines Herkunftsortes für mich? Geradezu programmatisch zeigt dies das „Encantado“ von Lia Rodrigues aus Rio de Janeiro. 

Sie schickt ihre Tänzer:innen in buntgemusterten Stoffen auf die Bühne und beschwört die titelgebenden „encantados“: mythische Wesen, die dem Glauben indigener Völker zufolge Orten und Dingen innewohnen. Musikalisch begleitet und inhaltlich um eine  weitere Facette bereichert wird das von Liedern der Guarani Mbya People: Musik, die auch während der Demonstration der Indigenen in Brasilia im August 2021 gesungen wurde, als sie für die Anerkennung ihres angestammten Landes kämpften.

Ein Tabuthema auf der Bühne

Sahar Damoni aus Schefar’am in Israel bringt in „Eat Banana & Drink Pills“ ein Tabuthema auf die Bühne: die Abtreibung unter alleinstehenden arabischen Frauen in Palästina. Das Solo hatte 2022 Premiere und ist erstmals in Europa zu sehen. Mit „Re:Incarnation“ ist erstmals ein Stück aus Nigeria bei den Tanztagen zu Gast: eine dem Streetdance angelehnte Choreografie, die sich bei Elementen der Yoruba-Philosophie bedient, dem ethnischen Hintergrund des Choreografen Qudus Onikeku – ebenso wie im Fundus zeitgenössischer Bewegungen. Es soll um Zyklen des Körpergedächtnisses gehen, aber auch um die Fähigkeit der Menschen in Afrika, sich in einer kollektiven Wiedergeburt neu zu erfinden.

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Der tunesische Tänzer und Choreograf Hamdi Dridi und die australische Choreografin Daina Ashbee waren bereits 2020 bei den Tanztagen dabei – beide sind nun mit neuen Arbeiten wieder zurück. Dridi beschäftigte sich damals in einem berührenden Solo mit dem Tod seines Vaters, dessen Leben von körperlicher Arbeit geprägt gewesen war. Jetzt setzt er die Suche mit einem Trio fort. Daina Ashbee beeindruckte 2020 mit einer intensiven tänzerischen Schlangenliturgie, die auch Huldigung an die Kraft des weiblichen Körpers war. Mit „J’ai pleuré avec les chiens“ (Ich heulte mit den Hunden) schickt sie nun eine menschliche Herde in Gestalt von sieben Tänzer:innen nackt in den Ring.

Auch wenn 2022 wieder vieles beim Alten ist, ist manches neu, etwa die Beteiligung Nigerias, die Aufführungen für ein junges Publikum (zwei Stücke) und auch die Verbindung zum Kunstverein „KunstHaus Potsdam“, der mit Rahel Schrohe eine neue Leiterin hat. In „Mouvement“ sollen die Skulpturen des Bildhauers Robert Schad auf die tänzerische Arbeit der Choreografin Isabelle Schad treffen. Die Performance ist als Auftakt gedacht: Tanz und Gegenwartskunst sollen sich künftig in fabrik und KunstHaus häufiger begegnen.

Karten sowie das vollständige Programm unter www.fabrikpotsdam.de

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