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Anna Prohaska ist eine der besten Sopranistinnen ihrer Generation.

© Marco Borggreve

Starsopranistin Anna Prohaska im Interview: „Kulturell ist Potsdam ein Stern“

Als „Artist in Residence“ kehrt Starsopranistin Anna Prohaska nach Potsdam zurück. Ein Gespräch über Mahlers Reiz, Potsdams Glanz und historische Ambivalenz.

Anna Prohaska, Sie sind in dieser Saison Artist in Residence an der Kammerakademie Potsdam (KAP), letztes Jahr waren Sie es am Berliner Konzerthaus. Was macht Residenzen aus Künstlerinnensicht so reizvoll?
Man kann in einer Spielzeit einen roten Faden spinnen und sich ein bisschen austoben. Vielleicht auch Stücke auswählen, die man als Sopran sonst nicht unbedingt singen würde – wie Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“. 

Das wird sonst eher von Baritonen oder Mezzi gesungen. Mit der Kammerakademie kann man das etwas lyrischer, kleiner besetzen – das ist für mich super. Und wenn man viel reist, ist es auch einfach schön, wenn man „von Zuhause aus“ arbeiten, im eigenen Bett schlafen kann. Es geht nichts darüber, Touristin in der eigenen Stadt sein zu können.

Das Naheliegende erkunden: Spielt dabei auch der Nachhaltigkeitsgedanke eine Rolle? Sie betonen oft, wie wichtig es ist, dass der Klassikbetrieb da umdenkt.
Ja. Dabei muss man aber zusehen, dass die Veranstalter und Agenturen zusammenspielen und diese Residenzen auch ermöglichen. Vor der Pandemie hatte ich oft das Gefühl, dass da so eine Kurzlebigkeit im Betrieb war. Es musste immer ein neuer Künstler kommen, es sollte ja nie der gleiche zweimal spielen. 

Und dann hieß es: die Verkaufszahlen, Hilfe! Aber meine Güte, früher war es auch so, dass große Opernsänger mit dem Dampfschiff über den Ozean gefahren sind und zwei, drei oder sechs Monate auf einem Kontinent unterwegs waren. Ich würde mir wünschen, dass wir zu so einem Slow Travelling wieder zurückfinden. Das ist für die Stimme auch viel gesünder als diese Flugzeugluft und Jetlags. Längere Zugreisen strapazieren da eher weniger.

Gesellen-Lieder singt Prohaska besonders gerne.
Gesellen-Lieder singt Prohaska besonders gerne.

© Marco Borggreve

Und ganz kurze Reisen wie die nach Potsdam hoffentlich so gut wie gar nicht.
Stimmt, aber ich muss gestehen, ich fahre schon ganz gerne mit dem Auto nach Potsdam. Denn da kann ich mich einsingen – und das wäre in der Regionalbahn eher schwierig. (lacht)

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Wie kam die Verbindung nach Potsdam zustande? Sie sind mit KAP-Chef Antonello Manacorda befreundet, heißt es.
Das stimmt, aber das kam auch über Alexander Hollensteiner zustande, den ich noch aus meiner Zeit beim Festival Mecklenburg-Vorpommern kenne (wo Hollensteiner in der künstlerischen Leitung war, Anm. d. Red.). Dort habe ich, noch als Studentin, eines meiner allerersten Konzerte überhaupt gesungen.

Antonello Manacorda dirigiert das Ensemble der Kammerakademie Potsdam.
Antonello Manacorda dirigiert das Ensemble der Kammerakademie Potsdam.

© Beate Wätzel

Wie gut kannten Sie die KAP vor der gemeinsamen Saisoneröffnung im August?
Ich war in vielen Konzerten als Zuhörerin gewesen, hatte zusammen mit der Kammerakademie und dem Fagottspieler Sergio Azzolini ein Vivaldi-Programm gemacht – und einen Mozartfilm, eine Art Mozart-Talkshow: „Die Mozart-Session“. Das war ein Riesenprogramm. Und ich weiß nicht, ob das dazu passt, aber mit der Stadt Potsdam verbinde ich auch sehr emotionale, sentimentale Erinnerungen.

Erzählen Sie!
Als ich sechzehn Jahre alt war, war ich bei der Potsdamer Schlössernacht zu Gast. Damals habe ich zusammen mit meinem Bruder (dem Tenor Daniel Prohaska, Anm. d. Red.) die Balkonszene von „Romeo und Julia“ gespielt – und zwar fünf Mal hintereinander, abwechselnd auf Englisch und Deutsch. 

Ich stand auf einem sechs Meter hohen Balkon, da konnten zum Glück keine inzestuösen Dinge passieren. Dazwischen haben wir Lieder von Dowland und Purcell auf der Gitarre gespielt. Meine Mutter war auch dabei, sie hat Shakespeare-Sonette gelesen. 

Das war ein richtiges Familientreffen. Es hat unheimlich Spaß gemacht, war sehr aufregend und einer meiner ersten Auftritte überhaupt.

Den Potsdamer Nikolaisaal hat die Sopranistin ins Herz geschlossen.
Den Potsdamer Nikolaisaal hat die Sopranistin ins Herz geschlossen.

© Andreas Klaer

Sie haben gewissermaßen Ihren Berufseinstieg in Potsdam erlebt.
Zwei Jahre später hatte ich nochmal einen Auftritt bei der Schlössernacht. Und kulturell ist Potsdam natürlich ein Stern, ein Riesenmagnet. Schon immer gewesen – mindestens seit Friedrich dem Großen. Deswegen ist es toll, dort jetzt Residenzkünstlerin zu sein.

Oft heißt es ja, Berlin strahle auf Potsdam ab – das geht offenbar auch andersherum.
Schon. Und der Nikolaisaal ist so angenehm zu singen! Erst einmal ist er architektonisch wunderschön, mitten drin in der Stadt – und akustisch ganz, ganz delikat. 

Einer meiner Lieblingssäle überhaupt. Man versteht den Text, trotzdem ist der Klang so schön eingebettet.

Und wie würden Sie den Klang des Potsdamer Orchesters beschreiben?
Das erste Wort, das mir einfällt, ist: Dynamik. Zum einen im Sinne der Lautstärke – sie sind unglaublich flexibel. Sie können unglaublich orchestral klingen und im nächsten Moment wieder total nach Kammermusik. 

Zum anderen sind sie unglaublich dynamisch, jung – auch die älteren Mitglieder sind jung geblieben. Das gilt auch für die persönliche Ebene in der Zusammenarbeit. Sie haben das, was man im Englischen „Shorthand“ nennt …

Anna Prohaska hat die Nachwende-Zeit in Berlin verbracht.
Anna Prohaska hat die Nachwende-Zeit in Berlin verbracht.

© Tagesspiegel/Doris Spiekermann-Klaas

Die Potsdamer schreiben Steno?
Ja. Zwischen Dirigent, Solist und Konzertmeister oder Stimmführer gibt es so etwas wie eine Abkürzung. Eine humorvolle, schnelle Informationsübertragung. 

Man muss die Dinge gar nicht lange erklären oder ewig drüber reden. So kann man ganz flexibel bleiben, kann alles machen. Man muss nie Angst haben, dass sich irgendjemand beweisen möchte.

Sie wollten unbedingt die Gesellen-Lieder singen. Was macht Mahler so besonders?
Es gibt da eine dramatische Bandbreite, die mich bei den Gesellen-Liedern sehr fasziniert. Das dritte Lied, „Ich hab ein glühend Messer“, fängt irrsinnig aufbrausend an – und plötzlich lichtet sich der Sturm und die Sonnenstrahlen kommen wieder raus. 

Das vierte Lied berührt mich so, dass ich mich beim Singen disziplinieren muss, dass mir im Konzert nicht die Tränen in die Augen schießen.

Sie haben eine Nähe zum Dunklen?
Ja – oder vielmehr zu den Farbwechseln. Deswegen sind mir Schubert und Mahler so nah. Dort gibt es eine Nähe zum Volksliedhaften, Alpinen – aber ohne Sentimentalität. Es ist genug Emotionalität in dem musikalischen Material, da muss man nicht noch auf die Tränendrüse drücken.

Anna Prohaska (rechts) in einer Aufführung von „Le Nozze Di Figaro“ in der Staatsoper im Schiller Theater Berlin.
Anna Prohaska (rechts) in einer Aufführung von „Le Nozze Di Figaro“ in der Staatsoper im Schiller Theater Berlin.

© imago images

Sie machen auch einen Belcanto-Abend – mit Händel. Warum können Sie mit Donizetti und Rossini nicht so viel anfangen?
Was dort passiert, ist hochvirtuos – aber für mich hat das etwas von Voltigierpferd, musikalisch ohne viel dahinter. Und teilweise sind auch die Libretti nicht so aufregend. 

Klar gibt es auch bescheuerte Barock-Libretti, aber so etwas wie „Agrippina“ ist dann schon sehr schön doppelbödig. Gesanglich ist der Barock genauso exponiert wie der klassische Belcanto, aber musikalisch finde ich Händel oder Purcell einfach reizvoller.

Sie singen Ihren ersten eigenen Abend in Potsdam am Tag der Deutschen Einheit. Verbinden Sie etwas mit dem Tag?
Oh ja, ganz viel. Ich bin zwar keine Deutsche, aber in Neu-Ulm geboren. Die ganze Nachwendezeit habe ich in Berlin verbracht. 1994 bin ich hergezogen, 1992 habe ich meinen Vater hier das erste Mal besucht. 

Ich weiß noch, wie der Gendarmenmarkt und der Prenzlauer Berg aussahen, das war ganz klar noch Osten. Mein Vater war Professor an der Musikhochschule „Hanns Eisler“, meine Klavierlehrerin kam aus dem Osten, die Hälfte meiner Freunde kam aus dem Osten.

Gestern war ich zum ersten Mal im Humboldt-Forum und habe ein sehr gespaltenes Verhältnis zu diesem Neubau. Ich will die DDR nicht loben, aber für viele, viele Menschen war Preußen auch ein Unrechtsstaat, eine Militärdiktatur eigentlich.

Der Wiederaufbau des Stadtschlosses und die Eröffnung als Humboldt-Forum ist bis heute umstritten.
Der Wiederaufbau des Stadtschlosses und die Eröffnung als Humboldt-Forum ist bis heute umstritten.

© dpa

Was wäre eine bessere Idee gewesen?
Ich hätte mich gefreut, wenn der Palast der Republik nur halb abgerissen worden wäre und daraus ein halbes Schloss entstanden wäre. So einen Entwurf gab es, stattdessen hat man sich aber für die Brutalo-Version entschieden und den ganzen Palast abgerissen. Man hat der historischen Ambivalenz keinen Raum gelassen.

Das Gespräch führte Lena Schneider.

Anna Prohaska, geboren 1983 in Neu-Ulm, gilt als eine der besten Sopranistinnen ihrer Generation. Sie stammt aus einer irisch-englisch-österreichischen Musikerfamilie. 

Aufgewachsen in Wien und Berlin, studierte sie an der Musikhochschule „Hanns Eisler“, stand mit 18 in der Komischen Oper auf der Bühne und mit 20 an der Staatsoper, zu deren Ensemble sie gehört. 

Sie gastiert an den großen Opern- und Konzerthäusern der Welt. Für ihr Konzert „Persönlich“ am Sonntag um 18 Uhr im Nikolaisaal gibt es noch Karten (hier geht es direkt zur Event-Webseite).

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