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Star-Cellist Steven Isserlis im Interview: „Bis 30 zweifelte ich jeden Tag“

Der Cellist Steven Isserlis ist ein Weltstar – und neuer Artist in Residence der Kammerakademie Potsdam. Im PNN-Interview spricht er über die holprigen Anfänge seiner Laufbahn, Nachwuchsförderung und sein Konzert in der Potsdamer Friedenskirche.

Herr Isserlis, Sie kommen aus einer musikalischen Familie. Aber wie sind Sie gerade auf das Cello gekommen?

Meine ältere Schwester ist eine Bratschistin und meine mittlere Schwester Violinistin. Meine Mutter war Pianistin und mein Vater spielte Geige. Es wurde nur noch ein Cello gebraucht – und das war ich.

Haben Sie sich gleich in das Cello verliebt?
Nicht sofort, aber ziemlich bald.

Und was mögen Sie besonders am Cello?
Den Klang, das Gefühl, die Seele. Es gibt nichts, was ich daran nicht mag.

Haben Sie jemals daran gezweifelt, eine musikalische Karriere zu machen?
Ja, jeden Tag. Mit 25 war ich überhaupt nicht sicher, ob ich je Erfolg haben würde. Erst nach 30 wurde es etwas besser.

Sie hatten keine typische Karriere, gewannen zum Beispiel keine Wettbewerbe.
Ich habe nicht teilgenommen, weil ich wusste, dass ich nicht gewinnen würde.

Aber Sie haben trotzdem Ihren Weg gefunden.
Sehr allmählich. Vor allem durch die Empfehlungen anderer Musiker. Es war nicht einfach. Denn ich habe einiges anders gemacht als üblich. Aber ich hatte sehr gute, inspirierende Lehrer. Sie haben mir beigebracht, ganz in der Musik zu denken. In manchen Schulen wird zu sehr an Erfolg gedacht. Aber ich nehme die Zuhörer lieber mit in die Musik hinein, anstatt sie zu beeindrucken.

Sie spielen sowohl die großen Solokonzerte für Cello, machen aber auch viel Kammermusik. Was ist für Sie wichtiger?
Ich würde sagen, alles ist Kammermusik, auch Konzerte. Für mich ist sogar das Dvorák-Cello-Konzert Kammermusik, denn es gibt Fragen und Antworten in den verschiedenen Stimmen. Ich komme nicht mit einer vorgefertigten Interpretation, sondern ich höre dem Orchester zu und hoffe, dass es mir zuhört.

Muss man Leben und Werk eines Komponisten verstehen, wenn man ein Stück vorbereitet?
Das sind zwei verschiedene Sachen. Es ist sehr wichtig, das Werk zu verstehen, aber es ist nicht immer so wichtig, das Leben zu verstehen. Das können wir gar nicht. Wir verstehen nicht das Leben von Bach, weil wir nicht viel darüber wissen. Selbst von Mozarts Leben wissen wir – trotz seiner Briefe – nur sehr wenig. Mit Beethoven geht es besser. Aber natürlich kann es auch nützlich und inspirierend sein, das Leben der Komponisten zu kennen, zum Beispiel von Schumann, der autobiografisch so offen war.

Wie gehen Sie an ein neues Stück heran?
Zuerst lerne ich am Klavier alle Stimmen und dann gehe ich ans Cello. Wenn ein Schauspieler sich nur seine eigene Rolle in einem Stück anschauen würde, ergibt das keinen Sinn. Man muss die ganze Partitur, das ganze Stück ansehen und schauen, was all die anderen Charaktere zu sagen haben. Erst dann beginnt man, das Ganze zu verstehen.

Sie sind nicht nur ein hochgeschätzter Musiker, sondern auch ein Autor. Zuletzt haben Sie ein Buch über Robert Schumann geschrieben.
Kein Buch über ihn, sondern ich habe seinen wundervollen Text – die „Musikalischen Haus- und Lebensregeln“ – an unsere Zeit angepasst. Auslöser war, dass ich etwas auf meiner Facebook-Seite geschrieben hatte und darauf so viele Antworten bekam, dass ich dachte, die jungen Menschen möchten offenbar gern Ratschläge. Dann habe ich Schumanns Text neu interpretiert und an unsere Zeit angepasst.

Es gibt viele Wege, um sich der Musik zu nähern. Was würden Sie heute einem jungen Musiker empfehlen?
Ich würde sagen, sei vernünftig. Wenn die Musik nicht wichtig ist, dann ist da eine innere Leere. Wenn kein Gefühl für die Musik da ist, dann fühlt man beim Zuhören nichts. Wenn sie dich nicht bewegt, dann bewegst du auch nicht die Zuhörer.

Wenn Sie über das Musikleben nachdenken, wie es einmal war und wie es heute ist: Gibt es Veränderungen?
Einiges ist viel besser geworden. Es gibt mehr vielversprechende junge Musiker. Eine spezielle Verbesserung ist: Als ich jung war, hieß es immer, wenn jemand das Cellokonzert von Schumann in London spielte: Das ist ein schwaches Stück. Das hat sich heute geändert, die Leute erkennen allgemein an, dass Schumanns Cellokonzert ein Meisterstück ist.

Wie würden Sie jemanden, der noch nie in einem klassischen Konzert war, versuchen für die Musik zu begeistern?
Ich würde etwas über die Stücke erzählen, was ich darüber denke und fühle. Aber die beste Art, das Publikum anzuziehen, ist die Stücke angemessen zu spielen.

Am Sonntag spielen Sie mit der Kammerakademie Potsdam in Cello-Konzerte von zwei Komponisten, die eine wichtige Rolle in der Potsdamer Musikgeschichte gespielt haben.
Oh, ja. Carl Philipp Emanuel Bach war ein außergewöhnlicher Musiker, komplett anders als sein Vater, geradezu ein Rebell. Für mich klingt er immer noch modern, experimentell und extrem. Wenn die Musik von Johann Sebastian Bach eine göttliche Ordnung hat, dann gibt es bei Carl Philipp eine göttliche Unordnung.

Wie empfinden Sie die musikalische Sprache von Luigi Boccherini, dessen Cellokonzert Nr. 7 Sie auch in der Friedenskirche spielen werden?
Carl Philipp Emanuel Bach ist viel extrovertierter als Luigi Boccherini, der sanft und delikat ist. Er baut eine eigene Welt, in der die Vögel singen. Ich liebe sein G-Dur-Konzert und spiele es so oft ich kann.

Auf welchem Instrument werden Sie am Sonntag spielen?
Auf der Stradivari Marquis de Cerberon von 1726. Sie hat eine sehr starke Persönlichkeit. Ich schätze sie sehr.

Sie werden das Konzert auch leiten.
Ja, ich bin zum ersten Mal bei der Kammerakademie Potsdam auch als musikalischer Leiter vom Cello aus dabei – und dann mit diesen beiden Komponisten, die so stark mit Potsdam verbunden sind.

Was ist eigentlich das Beste am Dasein eines konzertierenden Musikers?
Die Musik. Aber ich mag auch ein gutes Essen. 

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Steven Isserlis, geboren 1958 in London, gilt als einer der besten Cellisten unserer Zeit. Er spielte weltweit die großen Cellokonzerte und wurde im Jahr 1998 mit dem Order of the Britisch Empire ausgezeichnet. Für seine zahlreichen Aufnahmen (u. a. von Edward Elgar, Benjamin Britten und Peter Tschaikowski) gewann Isserlis bereits u. a. den Gramophone Award

Als Autor verfasste er zwei Bücher über Komponisten und einen Ratgeber für junge Musiker.

Steven Isserlis gibt regelmäßig Meisterklassen in der ganzen Welt und ist seit 1997 künstlerischer Direktor des „International Musicians’ Seminar“ in Prussia Cove/Cornwall. Er ist als Sprecher auch regelmäßig im englischsprachigen Radio zu hören und schreibt für „The Daily Telegraph“ und den „Guardian“.

Am Sonntag um 18 Uhr spielt Steven Isserlis – ohne Dirigent – in der Potsdamer Friedenskirche in dem Konzert „Rollentausch“ Stücke von Joseph Haydn, Carl Philipp Emanuel Bach, Luigi Boccherini und Joseph Haydn. 

Babette Kaiserkern

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