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Stadt für eine Nacht 2018: Liebe ist Liebe

Enttäuschung, Eheschließung, Sternenreisen, ein leiser Abschied und ganz viel Liebe: Ein Streifzug durch Stadt für eine Nacht.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Die Nacht beginnt mit einer Enttäuschung: Zum heiß begehrten „Rio Reiser“-Unplugged-Konzert im Hans Otto Theater (HOT) ist kurz vor Beginn um 21 Uhr nicht mehr durchzudringen. Die Fans drängen sich bereits dicht im Glasfoyer. Auf der Treppe recken zu spät Gekommene verzweifelt die Hälse, um einen Blick auf Moritz von Treuenfels alias Rio zu erhaschen. Zu hören ist aus der Ferne kaum etwas, das Gemurmel der übrigen Gäste verschluckt den Gesang.

Wie zu „Stadt für eine Nacht“ – kurz Sfen – üblich, ist das Theater gut gefüllt am Samstag, bereits eine Stunde vor den Veranstaltungen stehen die Menschen Schlange vor den Türen. Einmal im Jahr füllt sich die gesamte Schiffbauergasse mit Besuchern jeden Alters, die sich durch die verschiedenen Kulturangebote und die Buden der Stadt treiben lassen. Etwa 30 000 waren es auch dieses Jahr. Geboten wurden 100 Programmpunkte, 26 temporäre Häuser – 24 Stunden sind kaum ausreichend, um alles zu erfassen.

Ein leiser Abschied von Potsdam

Und so wird ausgewählt. Über den verpassten Rio tröstet die Gewissheit hinweg, dass er ab Herbst wieder im HOT zu sehen sein wird, sogar weiter mit Treuenfels in der Hauptrolle. Er ist einer der wenigen Schauspieler, die auch nach dem Weggang von noch-HOT-Intendant Tobias Wellemeyer in Potsdam bleiben. Wellemeyer selbst tauchte am Samstag in der Besuchermenge unter, den Abschied von Potsdam vollzog er im Stillen. Auf seine Mitinitiative wurde Sfen vor neun Jahren ins Leben gerufen, jedes Jahr können die Besucher dabei an drei der temporären Häuser Auszeichnungen vergeben. Den mit 1000 Euro dotierten ersten Preis erhielt in diesem Jahr der Wünschewagen des Arbeitersamariterverbandes, den zweiten Platz erhielt die „Schriftgestaltung“ und den dritten „Nachts wach“ des Naturkundemuseums sowie der Nabu.

So wie manche Stadtbewohner immer wieder kommen, wird Wellemeyer in Zukunft ein Teil der Sfen bleiben: Am Samstag wurde ihm die symbolische Ehrenbürgerschaft von Sfen verliehen, wie Sprecherin Juliane Höpfner aus dem Fachbereich für Kultur und Museum der Stadt Potsdam auf Nachfrage erzählt. „Er hat ein Schokoladenherz mit seinem Namen darauf bekommen und wurde auf seine Rechten und Pflichten hingewiesen“, sagt sie am Sonntag. Zu den Pflichten gehöre auch, jedes Jahr Sfen zu besuchen – womit Wellemeyer sich wohl sehr erfreut einverstanden erklärte.

Die Liebe ist allgegenwertig

Für eine Besucherin des Rio-Konzertes am Abend ist das wohl kein Trost: Sie verlässt das Theater schluchzend und muss sich länger von einer Freundin trösten lassen. Die Gründe bleiben vage, sicher ist nur: Es hat etwas mit Liebe zu tun. 

Überhaupt ist die Liebe allgegenwärtig am Samstag, was mit Sicherheit an dem am häufigsten frequentierten Haus des 24-Stunden-Festivals liegt: Der „Kapelle der Erleuchtung“, betreut von Kreativen des Rechenzentrums. „Love is Love“, „Liebe ist Liebe“ heißt das Motto. Jeder und jede darf sich hier im Namen der Liebe für eine Nacht binden lassen. An wen oder was er möchte, auch an sich selbst.

Verlobungspommes und Feuchte-Augen-Kuss

Das Interesse ist groß, die Schlange vor der Kapelle reißt nie ab, die Durchmischung der Heiratswilligen ist groß: von älteren längst getrauten Pärchen bis hin zu jungen frisch Verliebten stehen alle an. Die Liebe macht eben vor niemandem Halt. Nicht immer wird sie romantisch zelebriert: „Wir küssen uns aber nicht“, klären zwei Freunde nüchtern, während sie sich ihre „Verlobungspommes“ teilen.

Zunächst stehen sowieso bürokratische Entscheidungen an: Zwischen drei Paketen können die Brautleute wählen. Das erste beinhaltet nur eine Heiratsurkunde, das zweite setzt einen Ring obendrauf, das dritte noch einen Sekt. Die Kosten sind mit einem bis fünf Euro günstig, Hut, Schleier und Strauß darf man sich vor Ort ausleihen.

Und dann geht es los. Nach einer leicht ironisch vorgetragenen Rede über Orgasmusversprechen und Liebestelegramme dürfen die bunten Plastikringe angesteckt werden, der Trauzeuge übernimmt den Hochzeitskuss, alles klatscht. Wirklich romantische Augenblicke gibt es auch: Etwa, als zwei junge Frauen ihr Ja-Wort mit einem innigen Feuchte-Augen-Kuss besiegeln und die eine die andere über die Schwelle hinausträgt. Love is Love, ganz ohne Zynismus.

„Es ist vorbei, bei, bei Junimond“ 

Bei so viel Gefühl ist fast vergessen, dass das eigentliche Motto der Sfen in diesem Jahr „Licht an!“ heißt. Mehrere Künstler haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Auch Rainer Gottemeier, der das Licht noch für vier Wochen auf den Tiefen See bringt. Seine blauen Lichtstelen erinnern an Laserschwerter aus Star Wars, geben dem Wasser aber seine ganz eigene Romantik. Dazwischen weiße Kugeln, um die kleine Lichtpunkte wie Glühwürmchen schwirren – ein romantischer Reigen für alle frisch Vermählten.

Wer eine wirkliche Hochzeitsreise machen möchte, ist beim „Vortex Lucis“ an der richtigen Stelle. Die interaktive Lichtinstallation des Potsdamer Künstlerkollektivs Xenorama in der Schinkelhalle entführt in eine weit entfernte Galaxis. Auf orangenen oder blauen Lichtpunkten stehend, erweckt die Installation die Illusion, in ein schwarzes Loch zu schweben. Hinein in unbekannte Welten, in denen noch kein Mensch zuvor gewesen ist.

Der eigentliche Star der Samstagnacht bleibt aber doch der echte große Vollmond am Himmel über dem Tiefen See. Mit einem leisen Es ist vorbei, bei, bei Junimond“ im Kopf entlässt er die Besucher aus der Stadt in die Stille der Nacht. Ob allein, zu zweit oder in der Gruppe ist ihm gleich.

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