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Kultur: Spiel mit Kontrasten

Die 20. Potsdamer Tanztage wurden mit einem Bootsballett und Lichtspielen auf „Großstadtasphalt“ eröffnet

Dieser Auftakt war gelungen. Mehrere hundert Besucher pilgerten mit Kind und Kegel in die Schiffbauergasse. Und warteten an der langen Uferpromenade entspannt auf das, was da kommen sollte. Kurz nach 19 Uhr näherten sich blaue, rote und gelbe Paddelboote synchron dem Schiffsanleger vor dem Hans Otto Theater. Vor der großartigen Kulisse – das Grün des Babelsberger Parks im Kontrast zu den Stadtvillen der Berliner Straße – waren sie die Ersten, die die weltweit erste Bootschoreografie des Amerikaners Patrick Scully eröffneten. Bald darauf folgten sechs Flöße, wenig später Ruderer und zuletzt Segler und Motorboote. Die etwa drei Dutzend Boote zogen unter dem freundlichem Abendhimmel ruhig ihre Bahnen, mal schnittiger, mal behäbiger im Oval des Tiefen Sees, begannen sie einander zu umkreisen oder ließen sich ihre Wege kreuzen.

Über allem kreiste ein Segelflieger und man hätte einiges darum gegeben, die Bootslinien ebenfalls aus der Vogelperspektive zu beobachten. So blieb vor allem der Eindruck der sehr unterschiedlichen Bewegungsqualitäten der Wasserfahrzeuge im Gedächtnis haften, der sich nach einer Dreiviertelstunde zum Live-Musik-Teppich von Miles Perkins (Kontrabass), Tom Arthur (Trompete, Horn) und Yorgos Dimitriadi (Drums, Electro) zu einem überraschenden Gesamtkunstwerk verdichtete. Nach dieser Choreografie der Entschleunigung, die den Auftakt der diesjährigen 20. Potsdamer Tanztage bildete, wurden die Besucher in die faszinierenden Licht- und Schattenspiele einer nächtlichen Großstadt entführt.

„Asphalte“ hieß die Choreografie von Pierre Rigal aus Toulouse, die den Jubiläumsjahrgang wie ein Feuerwerk auf der großen Fabrikbühne eröffnete. Farbige Lichtpunkte und ferne Polizeisirenen versetzten die Zuschauer augenblicklich in eine Großstadtnacht, in der coole Typen um die Häuser ziehen. Als sich zu den vier Hip-Hop-Tänzern eine junge Frau gesellt, wird sie buchstäblich zum Spielball der Jungen und es ist eine Gratwanderung zwischen Anmache und Akzeptanz, die sie jedoch für sich entscheiden kann. Pierre Rigal, der, bevor er Tänzer und Choreograf wurde, Mathematik und Film studierte, erzählt in „Asphalte“ keine durchgängige Geschichte. Vielmehr entführt er den Zuschauer mittels einer kongenialen Verschmelzung von Lichteffekten, Elementen des Hip-Hop und Breakdance sowie einer atmosphärisch dichten Tonspur in die Energie einer nächtlichen Parallelwelt.

In dieser existieren nicht nur Gewalt, sondern fantastische Träume und heftige Alpträume, die manchmal in den Fingern beginnen, schließlich den ganzen Körper der Tänzer ergreifen können und kaum mehr loslassen. In der effektvollen Bilderfolge wurde von Mathieu Hernandez, Hervé Kanda, Yoann Nirennold, Camille Regneault und Julien Saint-Maximin ein tänzerisches Farbfeuerwerk abgebrannt, das seinesgleichen sucht. Und obwohl die illuminierten Tänzer kaum noch an Körperbeherrschung und faszinierenden ästhetischen Effekten zu überbieten waren, erschienen wenig später seltsame Gestalten, die in ihre Kapuzenjacken eingeschlossen, zu seltsamen Zwitterwesen mutierten und einem Fabelreich entsprungen schienen. Diese Schattengestalten waren aber noch lange nicht der Höhepunkt dieser Choreografie, deren wunderbar schwebendes Ende im minutenlangen Beifallssturm der begeisterten Besucher beinahe unterging.

Den ganzen Abend über herrschte reger Andrang auf dem fabrik-Gelände und an der Uferpromenade. Luden doch unter anderem die Potsdamer Russian Speedfolk Band „Zhetva“ und die Marching-Brass-Band „Beat’n Blow“ bei freiem Eintritt zum Zuhören und Mittanzen ein. Und man konnte allenthalben den unverbrauchten alternativen Charme der gastgebenden Veranstalter spüren, denen im 20. Jahr ihres Bestehens keinesfalls die Ideen ausgegangen sind. Sondern die nach wie vor zu den Schrittmachern und Publikumsmagneten in der Schiffbauergasse zählen und bis 23. Mai zu mehr als zwei Dutzend Aufführungen mit anschließenden Publikumsgesprächen, den 6. Kindertanztagen mit Familienfest und einem Abend der Experimente und Entdeckungen in Potsdam einladen. Astrid Priebs-Tröger

Heutiges Programm: 15 bis 22 Uhr Kondition Plurial mit „Entre Deux“, 18 Uhr Martine Pisani auf der Freundschaftsinsel mit anschließendem Zuschauergespräch, 20 Uhr Collectif Petit Travers mit „Pan Pot“ in der fabrik

Astrid Priebs-Tröger

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