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„Allee“ entstand 2003, acht Jahre vor Bernhard Heisigs Tod im brandenburgischen Strodehne.

© Thilo Rückeis, Dauerleihgabe Vera Schreck, VG-Bildkunst, Bonn 2021

Spätwerk von Bernhard Heisig im Potsdam Museum: Der alte Mann und das Dorf

Das Potsdam Museum zeigt unbekannte Facetten aus dem Schaffen des Künstlers Bernhard Heisig, der 2011 im Havelland starb.

Potsdam - In der Kunst Bernhard Heisigs ist immer auch ein Impressionist zu spüren gewesen. Das schreibt Johannes Heisig, der Sohn des Künstlers und selbst einer, im Katalog zu der neuen Ausstellung im Potsdam Museum. Wie bitte? Der Erschaffer des berühmten Ikarus-Bildes im ehemaligen Palast der Republik, Symboliker und renommierter Porträtkünstler, hoher Kulturfunktionär der DDR und Begründer der Leipziger Schule als einer, der sich von Naturimpressionen mitreißen lässt?

Schau zeigt Phase des Rückzugs

Die Ausstellung „Menschheitsträume. Das malerische Spätwerk“, von Samstag, dem 21. August an im Potsdam Museum zu sehen, tritt die Beweisführung für diese These an. Die Schau umreißt die späte Schaffensphase des Malers, die mit der Ankunft im brandenburgischen Strodehne im Jahr 1992 beginnt, und mit dem Tod Heisigs im Jahr 2011 ihr Ende findet. Es ist eine Phase des Rückzugs. Bis 1987 war Heisig Rektor der Staatlichen Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig gewesen, bis 1988 Vizepräsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR. Als die Mauer fiel, stellte er gerade im Westberliner Gropiusbau aus: ein Künstler auf der Höhe seines Erfolgs.

Der Künstler Bernhard Heisig.
Der Künstler Bernhard Heisig.

© Hohlfeld/Imago

Nach dem Mauerfall muss er wie viele sein Selbstbild und sein Weltbild neu ordnen. Muss sich im deutsch-deutschen Bilderstreit der frühen 1990er-Jahre als Staatskünstler brandmarken lassen – etwas, das 1998, in der Debatte um seinen Beitrag für den neuen Bundestag wieder aufkochte. Auch in der Potsdamer Ausstellung ist ein Werk zu sehen, dass an diese, die „staatsnahe“ Facette Heisigs erinnert: Hier ist Teil zwei aus dem fünfteiligen Tafelwerk „Gestern und in unserer Zeit“ zu sehen. Heisig hatte es 1974 für die Räume der SED-Bezirksleitung in Leipzig gemalt. 2005 besserte er nach: Statt Arbeiterbrigade ein Welttheater à la Beckmann.

Verletzungen und Bitterkeit in Kunst verarbeitet

Der Umzug aus der Kunstmetropole Leipzig in die brandenburgische Wüste kann daher auch als Flucht verstanden werden. „Menschheitsträume“ zeigt, wie Heisig nach der politischen Wende Verletzungen und Bitterkeit in seiner Kunst verarbeitete. „Der Tod des Weißclowns“ von 1991, als Dauerleihgabe seit 2015 im Bestand des Potsdam Museums und einer der Ausgangspunkte der Schau, greift das Motiv des Rollenspiels auf. Es zeigt eine traurige Clownsgestalt mit starrem Blick und roter Nase, die die Betrachterin anblickt. Dahinter ein Gerippe, das eine glatzköpfige, weißgeschminkte Figur umklammert hält.

Das Potsdam Museum zeigt bis 2. Januar die Schau "Bernhard Heisig. Menschenträume".
Das Potsdam Museum zeigt bis 2. Januar die Schau "Bernhard Heisig. Menschenträume".

© Soeren Stache/dpa

Dass Gerippe und Puppen als Allegorien in den Bildern Heisigs auftauchen, war nicht neu: Nur was da starb, dürfte nach 1989 eine neue Dimension gehabt haben. In „Nachts kommen die Puppen“ von 1997 zeigt sich Heisig selbst: ein alptraumhaftes Bild mit Handpuppen im Hintergrund, die die Gesichtszüge von Heisigs Galeristen Dieter Brusberg und Rüdiger Küttner tragen. Der Künstler zieht hier zwar die Fäden – aber seine Galeristen sitzen ihm deutlich im Nacken.

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Die schauerliche, von Fratzen, Masken und gespenstischen Puppen bevölkerte Bildwelt erklären eine Facette des Titels. Der Mensch kann sich seine Träume nicht aussuchen: schon gar nicht die Alpträume, die ihn heimsuchen. Ähnliches gilt für die Geister der Vergangenheit – auch die spielen in Heisigs Spätwerk eine Rolle. Statt der Pariser Kommune widmet sich der Künstler in den 1990er-Jahren intensiver der preußischen Vergangenheit. Kurz vor Heisigs Umzug ins Brandenburgische war Friedrich II. in Potsdam bestattet, wie es dessen Wunsch gewesen war. Fernab jeder Idealisierung malt Bernhard Heisig den Preußenkönig 1996/1997 in „Friderizianische Totenrede“ von hinten, Dreispitz in der Hand, mit einem Blick über die Schulter, als würde er von der Betrachterin überrascht. Im Hintergrund krümmen sich weißgewandete Menschenmassen, soldatisch aufgereiht in Reih und Glied: Einer mit weit aufgerissenem Mund. Keine Verehrung, eher Anklage.

Der thematische Fokus Heisigs wird enger

Statt Ikarus und Weltgeschichte vermengt er Friedrich, Fontane – und das Havelland: Der thematische Fokus Bernhard Heisigs wird enger in den letzten Schaffensjahren. „Konzentrierter“, wie Jutta Götzmann sagt. Und hier kommt nun der impressionistische Heisig ins Spiel. Vorbei an Selbstporträts und Geschichtsreliefs, am hoffnungsvollen, berühmten „Fensteröffner“ von 1989 und dessen diffusem, bestürztem Nachfolger von 2008, betritt man den letzten Raum: „Landschaftsmalerei“.

Heisig selbst hat diese als „Nebenprodukt“ bezeichnet. „Es war nicht sein Programm“, schreibt Johannes Heisig, und: „Mein Vater war misstrauisch gegenüber der Idylle“. In diesem letzten Raum begegnet einem dennoch ein „Alter Maler im Dorf“ vor idyllischem Fachwerk, eine „Birkenallee in Brandenburg“, eine „Straße im Havelland“. Aber auch ein „Aggressiver Nachmittag“, ein Bild von 1995. Es zeigt den riesigen schwarzen Rücken eines Malers, der in seine Staffelei zu stürzen scheint, umringt von monströs großen Störchen. Es begegnet einem hier ein Künstler, der bis zuletzt mit sich und seiner Materie rang.

Bis 2. Januar im Potsdam Museum. Der Katalog ist für 16 Euro erhältlich.

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