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Grenzen austesten. Die Tänzer probten für „Venus Whisper“ zwei Wochen lang. Für sie war das Stück eine Herausforderung.

© promo

Sommertheater in Potsdam: Romantik her

„Venus Whisper“ mit der Oxymoron Dance Company auf der Seebühne am Tiefen See.

Am Ende sticht der Mond alles andere aus. Schon zu Anfang des Abends schiebt er sich, rund, in surrealem Orange, in die Kulisse über dem Tiefen See. Ein Beweis, dass natürlich auch die Natur Kitsch kann. Da ist es auf der Bühne noch still, statt Live-Band gibt es Musik aus der Dose. Nur der blau gefärbte Bühnennebel wabert schon, man ahnt links und rechts von der Seebühne zwei Muscheln.

„Venus Whisper“ hieß der Abend, zu dem Anja Kozik und die Oxymoron Dance Company auf die Seebühne einluden. Premiere war am Freitag. Schon der Titel ein unverhohlener Kniefall vor dem vielleicht größten der Gefühle: Romantik her, und zwar seebühnengroß, das war die Ansage. Kozik und ihre drei Tänzer hatten sich im Vorhinein mit der Venus des Botticelli beschäftigt, jenem Gemälde, das die Geburt der Venus zeigt. Blond ist sie da, nackt, vom Windgott Zephyr vom Meer an Land geblasen, schwebend auf einer Muschel in der Bildmitte.

Luana Rossetti nimmt es mit der Botticelli-Schönheit auf

Nun ist der Tiefe See nicht das Meer, aber die Kulisse ist trotzdem schön. Ein kühler Wind bläst über das Gewässer, im Rücken schirmt das Hans Otto Theater ab, gegen die herankriechende Kühle gibt es Sitzkissen. Und mit Luana Rossetti hat Anja Kozik eine Tänzerin gefunden, die es mit der Botticelli-Schönheit aufnehmen kann, das zum Zopf gebundene blonde Haar umfließt sie beachtlich, wenn auch nicht bis zur Hüfte. Ihr dunkler Gegenpart ist Raha Nejad, in einer Szene wird ihr langes Haar das Gesicht überdecken, ein gesichtsloser Körper, dessen Gliedmaßen sich in Eigenregie zu bewegen scheinen. Ein gewissermaßen kopfloses Tasten in die sonst leere Seebühne hinein: Eines der raren Bilder, die treffend die dunkle Seite des romantischen Sehnens zeigen. Jede ordentliche Sehnsucht braucht erstmal Einsamkeit, Stille.

Weniger ist manchmal mehr

Dieser Abend aber will vor allem (hetero-)erotische Zweisamkeit feiern, das mal harmonische, mal spielerische, mal fast kriegerische Ineinander und Aneinandervorbei, das die Liebe ausmacht. Zu den beiden Frauen gesellt sich der Akrobat Alessandro Di Sazio, mal als Gegenpart im Liebesspiel, mal als sich jeglichen Gesetzen der Schwerkraft widersetzender Spinnenmann, der den etwa acht Meter hohen Mast in der Bühnenmitte erklimmt, ein südländischer Spiderman. Er erklimmt den Mast mit Leichtigkeit, knäult sich um ihn, scheint teilweise mit nur einer Hand festzukleben, teilweise tatsächlich zu schweben, um dann in rasanter Geschwindigkeit kopfüber herabzustürzen. Zwanzig Zentimeter über dem Boden, kurz vor dem Genickbruch, dann ein schwebender Halt, wie von Geisterhand geschützt. Ja, die Liebe kann eine Achterbahn, ein genickbrecherisches Unternehmen sein.

Dazu mächtig melancholisch schnarrende Cello-Töne (Marcel Siegel), mal wippende, mal bedrohliche Synthesizer-Klänge (Christoph Kozik) – und immer wieder, schmachtend, Geige (Annegret Enderle). Der Nebel wabert blau, rot und rosa, auf den Muscheln zum Glück nur ahnbar florale Videomotive von Cécile Wesolowski. Insgesamt hätte ein bisschen mehr Ahnung, ein bisschen weniger überdeutliche Emotion dem Abend ganz gutgetan. Der Mond jedenfalls zog von all dem ziemlich ungerührt seine Bahn.

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