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Ja, nein, vielleicht? Die Musikfestspiele wurden erst verschoben, wurden dann abgesagt und fanden schließlich doch statt. 

© Ottmar Winter PNN

So war Potsdams Kultur 2021: Das Jahr des Immer-noch-Dennoch

Auch das zweite Jahr der Pandemie war von Lockdowns geprägt. Und doch ging in der Kultur erstaunlich viel. Es war das Jahr der Improvisation, der Ausdauer und: der Open-Airs.

Potsdam - Vor einem Jahr war an dieser Stelle zu lesen: Ein Jahr des Dennoch ist zu Ende gegangen. Es schrieb sich dahin wie eine einmalige Sache. Jetzt ist ein zweites Jahr des Dennoch dazugekommen, und es gibt Leute, die finden, das Jahr 2021 lasse sich mit genau einem Wort bestens abhaken: uff. Ja, uff! 

Aber den vielen Versuchen in der Kultur, auch dem zweiten Pandemiejahr große und kleine Initiativen, Projekte und Leuchtmomente abzutrotzen, wird ein Stoßseufzer allein nicht gerecht. Schauen wir also noch einmal genauer hin, was 2021 in Potsdams Kultur los war. Und, wie erprobt: Schauen wir auf das, was war. Lassen wir all das, was nicht sein konnte, links liegen (und jagen ihm bei Bedarf noch einen abschließenden Stoßseufzer hinterher).

Deutschlands ältestes Filmmuseum feiert zukunftsweisend Geburtstag

In ein weites Feld von denkbar schlechten Nachrichten (Theater, Kinos, Museen wegen Corona geschlossen) säte das Filmmuseum Potsdam zu Jahresbeginn eine unsagbar gute: Kino wurde trotz pandemiebedingt geschlossener Kinosäle wieder möglich. Das Museum brachte im Januar seinen virtuellen Kinosaal Kino2Online an den Start, wo seitdem bestens kuratiertes Programmkino läuft, digital jederzeit und von überall abrufbar - seit der Wiedereröffnung der Säle im Juli parallel zum analogen Programm. 

Im Jahr seines 40. Geburtstages zeigte das älteste Filmmuseum Deutschlands, dass es nicht nur eine lange Geschichte, sondern auch ein gutes Händchen für zukunftsträchtige Formate hat. Auch die Geburtstagsschau war (und bleibt vorerst) analog und digital zu sehen. Der Filmpreis Clio wurde auch ohne das begleitende Festival Moving History erneut verliehen - an Dominik Graf, für seine Kästner-Adaption "Fabian oder Der Gang vor die Hunde".

Für Potsdamer:innen hagelte es Ehrungen

Der Potsdamer Defa-Regisseur Rainer Simon und die Kostümbildnerin Christiane Dorst wurden von einer Stiftung geehrt, die in diesem Jahr selbst Geburtstag hatte: Die Defa-Stiftung wurde 75. Begangen wurde das im Zusammenspiel mit dem Filmmuseum und an verschiedenen Filmabenden. Und, ein Novum: auch mit einem Openairfilmfestival in Drewitz.

Überhaupt: 2021, das Jahr der Ehrungen. Am medienwirksamsten geehrt wurde Antje Rávik Strubel, die mit ihrem Roman "Blaue Frau" nicht nur einen uneingeschränkt lesenswerten Roman schrieb, sondern dafür auch den Deutschen Buchpreis erhielt - als erste Potsdamerin. Ausgezeichnet wurde auch die Stadtindianerin und Künstlerin Barbara Raetsch, die als freigeistige Chronistin Potsdam seit Jahrzehnten den Spiegel vorhält. Sie erhielt den Ehrenpreis des Ministerpräsidenten für ihr Lebenswerk. 

Ein kleiner Verdienstkreuzhagel kam über Potsdamer Kreative im Frühherbst: Regisseur Andreas Dresen erhielt von Ministerpräsident Woidke das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, die Gründerin der Potsdamer Bürgerstiftung, Marie-Luise Glahr, eine Verdienstmedaille. Und die Flötistin Dorothee Oberlinger, Leiterin der Musikfestspiele Sanssouci, bekam das Bundesverdienstkreuz vom Bundespräsidenten persönlich überreicht.

Von noch mehr internationalem Glamour wurden die drei Emmys begleitet, die an Potsdamer Filmhandwerker:innen gingen. Der Szenenbildner Uli Hanisch, die Kostümbildnerin Gina Krauß und der Tonmeister Roland Winke erhielten den bedeutendsten Fernsehpreis der USA.

Defa, Kozik, Kohlhaase, Hoffmann: Wichtige Geburtstage

Und nicht nur die Defa, auch einige ihrer wichtigen Protagonisten feierten runde Geburtstage: die Szenaristin Christa Kozik wurde 80, die Schauspielerin Jutta Hoffmann ebenfalls. Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase setzte noch ein Jahrzehnt drauf, ebenso wie Jürgen Böttcher, der mit seinem einzigen Spielfilm („Jahrgang 1945“) einen der legendären, sofort verbotenen Defa-Filme geschaffen hatte. Die Galerie Kunstkontor nahm das zum Anlass, den Jubilar mit einer Ausstellung seines Alter Egos Strawalde zu feiern.

Der Maler Christian Heinze lebt seit 1966 in Potsdam und ist einer der prägendsten Chronisten dieser Stadt - auch er wurde in diesem Jahr 80. Die Galerie Kunstwerk widmete ihm im Herbst eine Retrospektive. Auch die Malerin Gudrun Brüne, bis zu dessen Tod Lebensgefährtin Bernhard Heisigs, wurde anlässlich ihres 80. Geburtstages mit einer bemerkenswerten Ausstellung im Güldenen Arm gefeiert - eine der vielen Ausstellungen, die 2021 wochenlang auf ihre Eröffnung harrten. 

Zum Ende des Lockdowns: Rembrandt und eine digitale Großoffensive

Die Ausstellung "Impressionismus in Russland" im Museum Barberini musste auf- und unversehens wieder abgebaut werden, bevor sie im Herbst dann tatsächlich besucht werden konnte. Zwischendrin war sie allerdings bereits digital zu besichtigen: Paradoxien der Pandemie. Die exquisiten digitalen Formate des Hauses machten es möglich - beispielhaft nicht nur für Potsdam. Digital ähnlich agil war nur der Nikolaisaal, der während des Lockdowns unermüdlich interaktive Konzerte streamte, „solange der Lockdown reicht“.

Den künstlerischen Auftakt nach viermonatiger Schließzeit machte am 13. März „Rembrandts Orient“ im Museum Barberini. Im benachbarten Potsdam Museum am Alten Markt war seit Ende August das großartig aufbereitete Spätwerk Bernhard Heisigs zu sehen (verlängert bis Februar) - ein Nebeneinander, das beide Profile der Häuser zum Schillern brachte.

Ebenfalls am 13. März jährte sich der erste Lockdown der Kultureinrichtungen zum ersten Mal. Anlässlich dessen wartete das im Vorjahr neu gegründete Netzwerk KulturMachtPotsdam mit einer künstlerischen Großoffensive auf. Rund 160 Kulturschaffende warfen sich sechs Stunden lang digital ins Zeug, um zu zeigen: Wir sind noch da. Gestreamt wurde live vom Hans Otto Theater, Nikolaisaal und dem Kunsthaus Sans Titre. Ein der Krise abgetrotzter Kraftakt, ein geradezu utopischer Moment des Miteinanders, über alle Genregrenzen hinweg.

Die Achterbahnfahrt der Festivals und Veranstalter

Improvisation und Durchhaltevermögen, das waren die großen Stichworte für alle, die in diesem Jahr etwas auf die Beine stellen wollten. Die Sehsüchte, das größte Studierendenfestival Europas, wurde ein halbes Jahrhundert alt und beging das Jubiläum erneut hybrid: mit einer Mischung aus Präsenz- und Online-Veranstaltungen. Erstmals nicht wie gewohnt im Frühjahr, sondern Ende Juli.

Die fabrik Potsdam unter dem Leitungsteam Sabine Chwalisz und Sven Till feierte 30. Geburtstag - und holte die 30. Ausgabe der Internationalen Tanztage in entschleunigtem Tempo nach. Das Festivaljubiläum war 2020 verschoben worden - und erstreckte sich statt wie sonst über wenige Tage über sieben Monate: von Mai bis Dezember. 

Auch für die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci war es das Jahr des 30. Jubiläums - und die Organisation eine Achterbahnfahrt der Gefühle für Fans und Beteiligte. Die Ausgabe unter dem Motto "Flower Power" war erst verschoben und dann rein digital geplant worden - bevor sie letztendlich doch vor Publikum stattfinden konnte.

Jüngste Jubilarin: Die Kammerakademie Potsdam

An Improvisation und Umzüge gewohnt ist die Galerie Sperl seit nunmehr 30 Jahren: So lange schon betreibt das Ehepaar Rainer und Ursula Sperl Galerien an verschiedenen Orten der Stadt. Pünktlich zum 30. Galeriegeburtstag sind die beiden 2021 umgezogen: Zurück in Potsdams Mitte, wo ihre Galerie nun eine Adresse in der Brandenburger Straße hat.

Jüngste Jubilarin der Runde ist die Kammerakademie Potsdam: Das Orchester der Landeshauptstadt wurde in diesem Jahr 20, Chefdirigent Antonello Manacorda beging zudem sein zehntes Dienstjubiläum in Potsdam. Gefeiert wurde mit einer Neuaufnahme von Mozart-Sinfonien, variosen Konzerten, einem Pop-Up-Laden in der Brandenburger Straße, der Rückkehr der Winteroper in das Schlosstheater im Neuen Palais - und der Sopranistin Anna Prohaska als Artist in Residence. Und natürlich wird auch 2022 weitergefeiert werden.

Das Literaturfestival Lit:Potsdam wagte sich Anfang Juni als eines der ersten Festivals bundesweit wieder in die Präsenz, dachte über die Zukunft der Branche nach und lockte Literat:innen wie Eva Menasse, Sharon Dodua Otoo und Bernhard Schlink nach Potsdam. Unidram konnte stattfinden (wenn auch ungewöhnlich früh, im September), das Radar-Festival kam nach einem Jahr Pause am T-Werk zu einer vielversprechenden zweiten Ausgabe. Generell lässt sich sagen: Die Festivals stolperten fast alle zu ungewöhnlichen Zeiten durch die Flur. Aber: Fast alle konnten sie stattfinden. Beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Ein extra Tusch für die Mutigsten: Newcomer 2021

Rückblickend vielleicht am erstaunlichsten ist, dass sich zu den bewährten Formaten im Krisenjahr 2021 auch neue gesellt haben. In Potsdam und Berlin fand erstmals das von dem in Potsdam lebenden Vokalkünstler Alex Nowitz gegründete Festival Designing Voices statt - der künstlerische Versuch, die Dimensionen der Stimme auszuloten. Das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg war in seinem 27. Jahr so präsent in Potsdam wie nie zuvor. Das Festival mit neuer Programmleitung fand erstmals täglich auch im Thalia-Kino in Babelsberg statt, sowie an acht von zehn Tagen im Filmmuseum Potsdam

Was einen extra Tusch verdient: Die Inselbühne auf der Freundschaftsinsel wurde nach langem Dornröschenschlaf wieder für Konzerte und Theater genutzt. Und der Schlaatz wurde zur Sommerbühne, auf mobilen Freiluftbühnen fanden Konzerte, Theater, Tanz, Filme und Lesungen statt - ermöglicht durch von der Stadt akquirierte Bundesmittel. Einiges davon wurde auch auf der Schiffbauergasse umgesetzt, die unter diesen Umständen belebt wurde wie nie zuvor - und in Teilen mehr als gewünscht. Das unter dem Titel "Potsdamer Kultursommer" geschnürte, mit 500.000 Euro geförderte Paket war vielgestaltig, kann aber in Zukunft hoffentlich mit noch mehr Sichtbarkeit rechnen. Denn, das ist bereits verkündet worden: Der Kultursommer soll bleiben

Zum Schluss ein Lichtblick

Die langersehnte Mini-Dependance des Hans Otto Theaters (das "Kleine Haus") in der Innenstadt bleibt auch, vorerst bis Ende März. Und, die Big News im Dezember, auch das Rechenzentrum wird aller Voraussicht nach nun dauerhaft bleiben. Der in dem Streit mit der Stiftung Garnisonkirche gefundene Kompromiss gehört zu den großen Lichtblicken in dem zu Ende gehenden Jahr. Jetzt schnell noch ein Stoßgebet losgeschickt, dass den Kulturschaffenden dieser Stadt auch im nächsten Jahr ihr langer Atem bleibt – dann kann 2022 getrost kommen.
 

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