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Verschiedene Ansätze. In „Edges“ (l.) von Ivana Müller wurde auf einer Meta-Metaebene über Filmtakes, Modeshootings oder Opernproben reflektiert. Weibliche Selbstverortung und -vergewisserung hingegen stand bei Mickaël Phelippeaus Porträt der Tänzerin Lola Rubio (r.) im Mittelpunkt.

© Franck Boisseliers (l.) und Philippe Savoir

So war das „Made in Potsdam“-Festival: Crossover

Spannende Überschneidungen der Genres beim diesjährigen „Made in Potsdam“-Festival - ein Rückblick.

Wer vor allem Tanz sehen wollte, war eigentlich fehl am Platz beim diesjährigen „Made in Potsdam“-Festival, das ab Mitte Januar an drei Wochenenden in der Schiffbauergasse stattfand. Stattdessen gab es an insgesamt zehn Abenden spannende Überschneidungen verschiedener Genres: Tanz-Porträt, Hör-Choreografie, Maschinen-Ballett, Ton-Collagen, Grafik und Malerei und vor allem immer wieder überraschend viele Worte.

Eröffnet wurde „Made in Potsdam“ am 14. Januar mit der Uraufführung des Elektro-Scooter-Balletts „Mein Touristenführer“ des Potsdamer Künstlerkollektivs „Kombinat“. Hier reisten drei Sopranistinnen, die an cyborgartige Wesen erinnerten, mittels Versatzstücken aus Lied- und Lyriktexten singend durch Zeit und Raum. Dabei über Fernweh und Fremdheit, Glückssuche und Ausgeschlossensein – wunderbar ästhetisch, doch dramaturgisch etwas zu gleichförmig – reflektierend. Doch dieses Mensch-Maschinen-Ballett wird man auch aufgrund der überzeugenden Klangcollage und der ungewöhnlichen Bühnenlösung nicht so schnell vergessen.

Beendet wurde das genreübergreifende Festival am vergangenen Wochenende mit Antonia Baehrs „Misses and Mysteries“– einer überaus originellen Verbindung aus Choreografie, Nouvelle Vague Drag Show und Hörspiel. Dieses „Hörtanzstück“ entwickelte nicht nur durch das Verfahren der Audiodeskription für sehbehindertes Publikum und Livemusik auf einem Innenklavier eine besondere Atmosphäre. Zudem war das Zusammenspiel von Valérie Castan und Andrea Neumann grandios.

Besonders auffällig war, dass in allen Festival-Aufführungen deutlich mehr Frauen als Männer auf der Bühne standen beziehungsweise bei einem Großteil auch Frauen für die Regie/Choreografie verantwortlich zeichneten. Das hatte Auswirkungen auf das Themenspektrum. Weibliche Selbstverortung und -vergewisserung standen bei den Inszenierungen von Malgven Gerbes und David Brandstätter sowie bei Mickaël Phelippeaus Porträt der Tänzerin Lola Rubio im Mittelpunkt. Und bei allen war der Blick hinter die Kulissen, auf Nebendarstellerinnen respektive auf Biografisches der Akteurinnen sehr wichtig und in dieser Ballung so noch nicht zu sehen. Phelippeaus Inszenierung erreichte jedoch nicht die Tiefe und Intensität wie das bei den Tanztagen gezeigte Jungenstück „Pour Ethan“.

Akustische Kostbarkeiten bot das zweite Wochenende mit dem Auftritt der Klangkünstler Alex Nowitz, Cia Rinne und Sabine Vogel. Sie boten mit „Unerhört“ – einer elektroakustischen und Klang- und Liveperformance – ein wunderbares literarisch-intellektuelles und akustisches Vergnügen. Sabine Vogel hatte für ihr Stück „Havelklang“ mittels Unterwassermikrofonen Klänge und Geräusche am Heiligen See und am Havelufer aufgenommen, die nun gemeinsam mit Klangschalen und Flöten ertönten – überirdisch „schön“ war das!

Diese Aufführung war im Gegensatz zu vielen anderen auch sehr gut besucht. Insgesamt kamen rund 1500 Zuschauer zu den insgesamt 17 Veranstaltungen, sodass es oftmals lichte oder sogar leere Reihen gab. Das Abschlusswochenende punktete hingegen mit internationalen (Tanz-)Schwergewichten und bei Antonia Baehr war das T-Werk am Freitagabend vollbesetzt.

Schade, dass der experimentelle Geist des MIP-Festivals noch nicht genügend in die Stadt ausstrahlt, denn abseits des Mainstreams gibt es immer wieder spannende Entdeckungen zu machen. Da aber für ein Tanzfestival ungewöhnlich viele Worte fielen, waren zumindest sehr gute Englischkenntnisse vonnöten. Bei „Edges“ von Ivana Müller sorgte die fehlende Übertitelung dafür, dass viele Nuancen verloren gingen, zumal die Künstlerin auf einer Meta-Metaebene über das „Theater“ von Filmtakes, Modeshootings oder Opernproben reflektierte.

Es wäre gut für die gesamte Kulturlandschaft Potsdams, so ein Festival zu Jahresbeginn noch stärker als Bühne für Potsdamer Künstler zu begreifen. Denn „Made in Potsdam“ hat jede Menge Potenzial. Doch wenn nur an den Wochenenden und dazwischen kaum etwas passiert, verschenkt man dieses. Verdichtung oder Verkürzung wären angesagt und beziehungsweise oder die Überlegung, andere Gattungen, etwa experimentelle Literatur, Videokunst und Ähnliches miteinzubeziehen, um beispielsweise den KunstRaum mit seiner Ausstellung mehr als einmal zu bespielen.

Natürlich müssten für so ein großes Event auch mehr Gelder als bisher – eine Summe im niedrigen fünfstelligen Bereich – in die Hand genommen werden; der Belebung der Schiffbauergasse täte dies allemal gut. Und die fabrik als Initiatorin dieses Festivals könnte noch mit ganz anderen Partnern spannende Kooperationen eingehen. Um die Etablierung von „Made in Potsdam“ voranzutreiben, sollten auch Workshops, Künstlerporträtserien oder Publikums(vor-)gespräche initiiert werden, die zum Austausch über das oder die Vorbereitung auf das Gesehene beitragen. Auch da ist noch jede Menge Raum für innovative Formen und Ideen.

Astrid Priebs-Tröger

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