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Urbanes Stillleben. Stadtansichten von Jonas Ludwig Walter.

© jlw

Kultur: So nah so fern

Fotografien von Jonas Ludwig Walter in der Galerie von Angelika Euchner

Von einem Gesamtwerk bei einem 27-Jährigen zu sprechen, klingt vermessen. Und doch ist diese Ausstellung von Jonas Ludwig Walters Fotografien, die noch bis kommenden Mittwoch unter dem Titel „Bis hierher und weiter“ in der kleinen Galerie von Angelika Euchner im Luisenforum zu sehen sind, so etwas wie eine Retrospektive des Frühwerkes dieses bemerkenswerten Berliner Fotografen.

Walter, der sicher von Kindesbeinen an mit der Fotografie vertraut ist – seine Mutter ist die Kleinmachnower Fotografin Petra Walter-Moll – bewarb sich 2007 an der renommierten Ostkreuzschule für Fotografie. Er tat das mit einer Serie über die verlassene Juri-Gagarin-Schule in Rhinow im Havelland. Der junge Mann mit den ostdeutschen Wurzeln interessierte sich schon mit 22 für die Phänomene des demografischen Wandels und der Fragmentierung in Brandenburg.

Diese frühen Farbfotos, die jetzt im hinteren Raum der Galerie hängen, zeigen bereits das, worauf es ihm auch jetzt ankommt. Er fotografiert kaum Menschen, sondern zeigt zuvorderst ihre (kulturellen) Spuren, die sie in der Landschaft hinterlassen haben. Das können, wie auf den havelländischen Schulfotos, riesige Bücherberge oder der verwaiste „Frauenruheraum“ der geschlossenen Schule sein, oder auf den Fotos, die nur ein paar Jahre später in der chinesischen 8-MillionenStadt Shenyang beziehungsweise im indischen Mumbai entstanden sind, die hypermoderne Megaarchitektur respektive die imposanten Slumbauten am Rande dieser Metropolen.

Und bei diesen Exkursionen in die Ferne tut Jonas Ludwig Walter etwas, was sein Schaffen weiterhin durchziehen wird. Im Slum Dharavi in Mumbai wird er nicht wie ein Tourist auf die Architektur und ihre Erbauer blicken, sondern er wird einer von den Bewohnern, lebt mehrere Wochen direkt vor Ort. Das ist seinen Fotos, die jetzt bei Angelika Euchner im vorderen Raum hängen, immer wieder anzumerken. Mittels Großformatkamera gelingt es ihm, unzählige, ansonsten unbeachtete Details einzufangen, die davon künden, dass es im Slum sowohl funktionierende wirtschaftliche als auch soziale Strukturen gibt.

Die kann man als Betrachter genauso entdecken wie auch die aus der Not geborene, aber ungemein kreative, organische Bauweise, der zugegebenermaßen äußerlich armseligen Hütten. Walter zeigt die gravierenden Probleme vor Ort, die die fehlende oder nur lückenhafte Kanalisation oder Müllbeseitigung auslösen. Aber es sind keine hoffnungslosen Bilder, ganz im Gegenteil. Das wird ganz besonders deutlich auf einem Bild. Auf dem wirken die weißen Hochhäuser im Hintergrund auf den ersten Blick wie die herrliche Verheißung eines besseren Lebens. Doch der Junge hoch oben im Geäst des einzigen Baumes, der sich zwischen den primitiven Hütten im Vordergrund des Fotos befindet, wirkt dort so zufrieden, wie er es in den schnell wachsenden Wohnungsgroßbauten vielleicht nie mehr sein wird.

Mit sich im Reinen scheinen auch Thomas, Jürgen und Hermann zu sein. Diese Arbeiter zwischen 25 und 60 leben wenige Kilometer östlich von Stendal im Niemandsland. In der ehemaligen Gemeinde Niedergörne sollte das größte Atomkraftwerk der ehemaligen DDR in Betrieb gehen, doch das KKW „Bruno Leuschner“ gelangte aufgrund gravierender Sicherheitsmängel nie ans Netz. Seit 2009 verfolgt Jonas Ludwig Walter die Arbeit und die Lebensweise dieser Männer, die als kleine Gruppe das Metall aus den maroden Gebäuden sammeln und dabei die riesigen Reaktorruinen abbauen.

Diese Fotos, die seine Abschlussarbeit an der Ostkreuzschule sind, zeigen einerseits, wie sehr die Männer, von denen die Älteren vielleicht schon in den 80er Jahren an der legendären Erdgas-Trasse in der Sowjetunion gearbeitet haben, die „grenzenlose“ Freiheit im Niemandsland genießen. Aber der Schein trügt, die – nicht strahlenden – Reaktoren und die dazugehörige monströse Architektur haben die ursprüngliche Idylle – das Dorf Niedergörne wurde für den Bau der Anlage geschleift – unwiederbringlich zerstört.

Und es gibt diese verstörenden Bilder, die zeigen, dass diese harten Männer vielleicht doch nicht genügend Nerven für die Einsamkeit oder die Perspektivlosigkeit ihrer Arbeit haben. Jonas Ludwig Walter gelingt hier, wie auch auf den meisten der anderen ausgestellten Fotos, eine großartige Balance zwischen Nähe und Distanz. Sowohl in dem, was und wie er es zeigt, aber auch darin, wie er sich selbst dazu ins Verhältnis setzt. Gerade das ist es wohl auch, was diese gerade mal zwei Dutzend Fotografien so ungemein kraftvoll macht, sodass das Motto der Exposition „Bis hierher und weiter“ unbedingt als positive Aufforderung an den Schüler von Werner und Ute Mahler zu verstehen ist.

Noch bis 10. August, mittwochs und freitags von 15 bis 19 Uhr, samstags von 12 bis 16 Uhr, in der Hermann-Elflein-Straße 18

Astrid Priebs-Tröger

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