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Singakademie: Entfesselter Chor bei opulentem Klang

Die Singakademie Potsdam interpretiert Bruckner mit 200 Mitwirkenden. Zarte Klänge überzeugen bei dem Konzert mehr als gewaltige.

Potsdam - Von 1836 bis 1840 ist Anton Bruckner Sängerknabe im oberösterreichischen Augustiner-Chorherrenstift St. Florian. Die Eindrücke, die er in musikalischer wie allgemein geistiger Beziehung hier gewinnt, sollen ihn ein Leben lang prägen. Seine Religiosität ist simpel und naiv, widerspiegelt sich in der gewissenhaften Befolgung von Geboten und Ritualen. So betet er täglich Rosenkränze, Vaterunser-, Ave-Maria- und Salve-Regina-Gebete. All dies ein Grund dafür, dass die Kirchenmusik mit über dreißig sakralen Werken am Anfang seines Schaffens steht. Fünf davon bringt die Singakademie Potsdam unter Leitung ihres künstlerischen Leiters Thomas Hennig am Samstag im Nikolaisaal unter dem Motto „Alles Bruckner“ zu Gehör. Mit von der Partie ein ausgewogenes, kraftvoll tönendes Solistenquartett, der gleichfalls von Thomas Hennig betreute Berliner Oratorienchor sowie Mitglieder des Potsdamer Nikolaichors, die von ihrem Kantor Björn O. Wiede einstudiert worden sind und der an der Truhenorgel dem instrumental-chorischen Aufgebot manche Klangfarbennuance beisteuert. Für die opulenten Klänge ist das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt zuständig, das zwischen orgiastischem Auftrumpfen und Seelenversenkung die Spannweite seines soliden Könnens vorzeigen kann.

Knapp 200 Mitwirkende drängen sich auf dem Podium. Würde diese Klangmasse auch klasse Klänge hervorbringen können? Manche Besuchermiene mag daran Zweifel hegen. Eingangs erklingt ein „Ave Maria“ für vierstimmigen Chor und Orgel (1856), das nur von einem Teil des Großchores angestimmt wird. Mutmaßlich von der Singakademie, kenntlich durch die roten langen Schals der Sängerinnen. Weich getönt das einleitende „Gegrüßt seist du, Maria“, der die biblischen Worte des Engels Gabriel an die Jungfrau Maria enthält. Es folgt die Anrufung des Namens Jesu und das Bittgebet „Sancta Maria, mater Dei“. Schade nur, dass die Soprane in der Höhe ziemlich scharf klingen und auch die Homogenität genauso zu wünschen lässt wie sichere Einsätze und saubere Intonation.

Dann vereinen sich alle zum jubelpreislichen „Te Deum laudamus“ („Herr, wir loben dich“) von 1884, dessen Beginn im mehrfachen Fortissimo schier ohrenschädigend herausgeschleudert wird. Wie ein Tsunami rast beispielsweise das „Sanctus“ über das Publikum hinweg, übertönt von einem Trompetenschall, als gelte es die Mauern von Jericho zum Einsturz zu bringen. Für solche Klangorgien ist die Akustik des Nikolaisaals nicht geschaffen, da hätte man besser in einen Kirchenraum gehen sollen, in dem sich solche Klangmassen wesentlich freier hätten ausbreiten können. In leisen Passagen zwischen Piano und mezzoforte dagegen entfaltet sich eine passable Innigkeit und Gefühlswärme.

Ähnlich auch der Eindruck von der Aufführung der Messe Nr. 1 d-Moll, die 1864 im alten Dom zu Linz unter Leitung des Komponisten zum ersten Mal erklingt und über die der „Linzer Abendbote“ berichtet, dass sie „das Ausgezeichnetste, was seit langem in diesem Fach geleistet wurde“ sei. Die Intentionen des Dirigenten Hennig: zupackend, dynamisch extrem differenziert und von säkularer Monumentalität bestimmt, der es erneut an Textverständlichkeit mangelt. Höchst erfreulich tritt auch in diesem Werk die Solistenriege in Erscheinung, angeführt von Hans-Georg Priese, der mit seinem baritonal gefärbten Heldentenor für glanzvolle Spitzentöne in strahlenden Höhenregionen sorgt. Das lyrische Bassfundament, schön tief und schwarz, liefert Haakon Schaub. Leuchtend, leicht und klar singt die Sopranistin Laura Zaman ihren Part, während Mezzosopranistin Gundula Hintz auch im eingeschobenen „Ave Maria“ (1882) mit seinen dreimaligen Jesus-Anrufungen ein inniges Duett mit der Orgel anstimmt. Als dritte „Ave Maria“-Vertonung erklingt noch die Version für siebenstimmigen Chor a cappella (1861), allein vom Berliner Oratorienchor unsauber in den Einsätzen, forciert und glanzlos angestimmt. Nach Momenten des Schweigens folgt anhaltender Beifall. 

Peter Buske

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