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Simon Strauß liest in Potsdam: Gegen das gefrorene Meer in uns

Schriftsteller Simon Strauß erhielt den Kleinen Hei 2017 vom Literaturladen Wist.

Von Sarah Kugler

Um sieben Uhr muss der Text abgeben werden. Siebenmal, immer am Morgen, immer nach einer experimentellen Nacht. Denn der Protagonist aus Simon Strauß’ schriftstellerischem Debüt „Sieben Nächte“ hat einen Pakt geschlossen. Einen, der ihn dazu verpflichtet, alle sieben Todsünden zu durchleben und darüber zu schreiben. Die Texte, die dabei entstehen, sind wilde poetische Gedanken über das Sein, die heutige Generation der unter Dreißigjährigen, über die Gesellschaft. Für die „radikale sinnliche Offenheit“ seiner Texte hat Strauß am Mittwochabend den Kleinen Hei 2017 des Literaturladens Wist bekommen.

Es ist bereits der 15. Preis dieser Art, den Buchhändler Carsten Wist vergeben hat. Die Auswahl der ausgezeichneten Bücher, zu denen schon Juli Zehs „Spieltrieb“ oder Lutz Seilers „Kruso“ gehören, sei rein subjektiv, wie Wist am Mittwoch betonte. Bei Simon Strauß sei die Entscheidung sehr schnell klar gewesen. Das Leseexemplar, das er im Sommer in den Literaturladen geschickt bekam, hat ihn sofort überzeugt: „Wir wussten, da kommt dieses Jahr nichts Besseres mehr“, so Wist. Und das, obwohl sich „Sieben Nächte“ kaum einem Genre zuordnen lässt, sich irgendwo zwischen Essay und Erzählung ansiedelt. Doch noch nie habe Wist in einem Buch so viele Sätze markiert – ein mit Zetteln gespicktes Exemplar, das er am Mittwoch hoch hält, bestätigt dieses Lob.

Und tatsächlich steckt „Sieben Nächte“ voller Sätze, die innehalten lassen. Weil sie irritieren und manchmal auch einfach nur zum Heulen schön sind. Oder zum Lachen. Etwa, wenn Strauß ein Rennpferd Nibelungenfürst nennt und erklärt, dieses Tier müsse gewinnen. „Schon allein, weil sein Vater Tertullian hieß und seine Mutter Nightbitch. So eine riskante Mischung aus Geist und Geilheit muss doch verpflichten (...).“ Es ist nicht die einzige Stelle, an der Strauß’ geisteswissenschaftlicher Bildungsweg durchblitzt: Der 1988 geborene Sohn von Botho Strauß studierte Altertumswissenschaften und Geschichte. Heute ist er Kulturredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Sieben Nächte“ ist nicht nur Fiktion, es ist auch ein Experiment, dem sich der Autor selbst ausgesetzt hat.

Im Gespräch mit seinem Lektor entstand die Idee, die Todsünden durchzuexerzieren. Strauß stellte sich der Aufgabe, schrieb seine Gedanken dazu auf, schickte sie jeden Morgen seinem Lektor. Als „ungeschütztes Schreiben“ beschreibt er diese Art des Arbeitens am Mittwoch. Weil seine Texte in der Form die ersten Gedankenströme geblieben sind, die sie beim Schreiben waren. Ein Experiment, das in furchtbar langweiligen oder ätzend belehrenden Texten hätte enden können. Herausgekommen ist aber ein roh emotionales, ein poetisches Werk. Lyrik sei enorm wichtig für seine Haltung zur Welt, sagte Strauß am Mittwoch. Sein Buch spiegelt das wider. Nicht nur in Sätzen wie: „Ich werde durchsetzen, dass vor jeder Ausschusssitzung, jeder Parketteröffnung oder Redaktionskonferenz ein Gedicht vorgelesen muss“, sondern in seinem gesamten Ton.

Wie ein Gedicht auch, geht Strauß’ Text direkt ins Herz. Und die Sätze reihen sich aneinander, wie in einem Prosagedicht. Ohne Ironie, ohne Filter. „Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“, schrieb Kafka 1904 an Oskar Pollak. „Sieben Nächte“ ist so eine Axt. Eine, die ihre stärkste Kraft zwischen Nacht und Morgen entfaltet, wenn die eigenen Gedanken gerade erst erwachen. 

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