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Mit Schuss. Heidemarie Wenzel und Rolf Ludwig in „Abschied“.

© F. Dietrich

Kultur: Sich reiben und neu hinsehen

Zum 90. Geburtstag von Egon Günther: Gespräch und Defa-Film „Abschied“ im Filmmuseum

Als Egon Günther seinen Film „Abschied" (1968) drehte, war er bereits ein gestandener Regisseur. Sechs Streifen lagen im Kasten, darunter der an Normen und Verkrustungen in der DDR-Gesellschaft kratzende Film „Lots Weib“ (1965) mit Marita Böhme und Günther Simon in den Hauptrollen. Mit „Abschied“ rief Egon Günther dann Diskussionen nicht nur bei den Zuschauern hervor, sondern auch bei den SED-Oberen. Die vom Regisseur benutzten Stilmittel waren für viele Rezipienten neu. Mit der Rückblendentechnik, den Zeitlupen- und Beleuchtungseffekten, den Traumsequenzen und für Babelsberger Verhältnisse ungewohnt freien erotischen Szenen, so der Filmkritiker Heinz Kersten, habe sich Günther internationalen Maßstäben angenähert. Für andere, besonders im SED-Politbüro, war gerade dies nicht annehmbar. Auch die Stilisierung stieß auf Kritik.

Heute Abend wird „Abschied“ anlässlich des 90. Geburtstags von Egon Günther am 30.März im Filmmuseum zur Aufführung kommen. Zuvor gibt es ein Gespräch mit Franziska Günther, der Hauptdarstellerin Annekathrin Bürger sowie dem Filmjournalisten Knut Elstermann. Die Vorlage zum Film lieferte der expressionistische Dichter Johannes R. Becher, erster DDR-Kulturminister. Er war auch der Verfasser der Nationalhymne des ostdeutschen Staates, in dem von „Deutschland einig Vaterland“ die Rede ist, doch ein „einig Vaterland“, wie es sich die SED vorstellte.

Bechers Roman „Abschied“, 1940 erstmals veröffentlicht, hat starke autobiografische Elemente. Der Held des Buches, Hans Gastl, nimmt Abschied von den Zwängen bürgerlicher Geborgenheit und Sicherheit. Er gehört zu den „jungen Wilden“ des sich verabschiedenden Kaiserreichs. Am ersten Weltkrieg wird Gastl nicht teilnehmen, denn er nimmt eine pazifistische Haltung ein. Doch Pazifismus war auch in der DDR nicht sehr willkommen. Als der Film im Oktober 1968 im Rahmen einer Festveranstaltung zu Ehren Johannes R. Bechers gezeigt werden sollte, verließ Walter Ulbricht kurz vor Beginn der Aufführung demonstrativ das Kino. Nur acht Tage lief der Film in den DDR-Kinos. Er wurde zwar nicht verboten, war aber unerwünscht. Als zehn Jahre später die „unrealistische Bildsprache“ Günthers Films „Ursula“ von den Kulturfunktionären harsch verurteilt wurde, verließ er die DDR und ging nach Westdeutschland. Dort konnte er bald wieder in Fernseh- und Filmstudios arbeiten, so entstand „Heimatmuseum“ (1988) nach dem Roman von Siegfried Lenz oder das Kriminalmelodram „Rosamunde“ (1990).

Egon Günther stammt aus dem erzgebirgischen Schneeberg. Als er 1945 aus dem Krieg in seine Heimatstadt zurückkehrte, gewann man ihn als Neulehrer. „Er hat unsere Kriegswunden gelindert, indem er mit uns gesungen und musiziert hat, in dem er uns die Welt der Literatur eröffnete“, erinnerte sich im MDR-Fernsehen eine Schneebergerin. Das für seine weihnachtlichen Bräuche bekannte Erzgebirge hatte einst Egon Günther zum Verfassen des Liedtextes „Sterne über stillen Straßen“ animiert. Auch zu anderen Melodien von Gerhard Wohlgemuth schrieb er Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre Verse. Für das Singspiel „Vom tapferen Schneiderlein“, das Kurt Schwaen vertonte, verfasste Egon Günther das Libretto.

Von den hübschen Liedern hat der Autor längst Abschied genommen. Im Literaturgeschehen war er mit eigenen Werken immer dabei. Er schrieb Drehbücher, Romane, Erzählungen oder das Theaterstück „Die merkwürdigen Umstände der Marquise von O.“, das frei nach der Novelle von Heinrich von Kleist als satirisches Gesellschaftsbild entstand. Im Brandenburger Theater wurde es 1972 uraufgeführt. Die Titelrolle besetzte man mit der Titeldarstellerin aus Konrad Wolfs Film „Solo Sunny“, Renate Krößner.

Aber besonders sprach man über Egon Günthers 26 Filme begeistert oder ablehnend. Sie ließen den Zuschauer nie kalt. Mehr als 50 Jahre hat er Spielfilme gedreht, seit 1961 bei der Defa. Zumeist schrieb er die Drehbücher selbst. Doch die Babelsberger Schriftstellerin Helga Schütz war dabei zumeist an seiner Seite. Oftmals standen Themen der Weimarer Klassik auf seinem Regie-Programm, so „Lotte in Weimar“ (1975) mit Lilli Palmer, „Die Leiden des jungen Werthers“(1976) mit Katharina Thalbach, „Die Braut“ (1999) mit Veronika Ferres und Herbert Knaup, doch auch Gegenwartsstoffe wie „Der Dritte“ (1971) mit Jutta Hoffmann. In diesem Film geht es um den Anspruch einer berufstätigen Frau auf privates Glück. „Ich mag diesen Film, auch oder gerade deshalb, weil ich mich stellenweise an ihm reibe, zu Fragen, Widerspruch und Neu-Hinsehen gereizt fühle“, schrieb Peter Ahrens in der „Weltbühne“. Das macht den Wert der meisten Filme Egon Günthers aus.

Heute „Abschied“ von Egon Günther und zuvor Gespräch um 19 Uhr im Filmmuseum Potsdam. Die Veranstaltung ist ausverkauft

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