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„Shock Room“ im Pavillon auf der Freundschaftsinsel: Schocktherapie

Notaufnahme in Zeiten der Hysterie: Der „Shock Room“ im Pavillon auf der Freundschaftsinsel.

Vier Tage vor den Wahlen in den USA ist die Wahrscheinlichkeit, dass Donald Trump Präsident wird, so hoch wie nie. Einige Erhebungen sehen ihn momentan sogar vor seiner Rivalin Hillary Clinton. Der Mann, den selbst eine liberale Wochenzeitschrift als „Amerikas blonden Mussolini“ bezeichnete, der Mann, der davon träumt, sein gelobtes Heimatland durch eine Mauer in Richtung Süden vor barbarischen Invasionen zu schützen und sonst alles tut, um nicht über Politik reden zu müssen, dieser Mann wäre dann der mächtigste Mann der Welt. Tja, und dann?

Ein Szenario, das allen Grund dafür liefert, in Schockstarre zu verfallen. Wenn man dem Künstlerischen Leiter des Brandenburgischen Kunstvereins Gerrit Gohlke glaubt, dann ist der Zustand des gegenwärtigen Kunstbetriebs nicht weit von der Schockstarre entfernt. Wenn Gohlke sich in den letzten Monaten die großen Museen und Galerien anschaute, dann fragte er sich: Wo sind die Reaktionen auf Phänomene wie Donald Trump, wo die Wut über die Spielarten des Populismus, die auch in Deutschland längst den politischen Tagesbetrieb mitbestimmen – und teilweise übertönen?

Gerrit Gohlke hatte irgendwann in diesem unerfreulichen Herbst keine Lust mehr, zur schweigenden Mehrheit zu gehören. „Ich kann die Welt nicht verändern, aber ich habe einen Ausstellungsraum, in dem ich für Aufmerksamkeit sorgen kann“, sagt er. So entstand „Shock Room – Schockraum“, seit dem 14. Oktober zu sehen im Pavillon auf der Freundschaftsinsel. Keine Ausstellung, wie Gohlke betont, eher eine Art impulsiver Denkraum mit künstlerischen Mitteln – und gerne, da ist der Verein selbstbewusst, auch ein bisschen „Reanimationseinrichtung“. Shock Rooms, das sind die Orte in der Notaufnahme, wo der fast tote Patient wieder zurück ins Leben geholt werden soll. Fast tot: Das ist für Gohlke der politische Diskurs, der sich auf die rhetorischen Mittel des Populismus (Gut und Böse, „Wir“ und „Die“) beschränken lässt. Der brauche ganz offenbar „lebenserhaltende Maßnahmen“.

Gegen die Schockstarre setzt der von Gohlke kuratierte Pavillon eine Schocktherapie. Beim Betreten des Raumes krächzen einem zwei Papageien entgegen. Nicht freundlich, nicht neckisch, sondern hysterisch, ohrenbetäubend. Der amerikanische Videokünstler Michael E. Smith hat die beiden Tiere in offenbar heimischem Umfeld gefilmt, im Hintergrund ahnt man Blümchentapete und niedrige Zimmerdecken. Weshalb sie derart in Aufregung sind, erklärt auch der Titel („Untitled“) nicht – aber wenn man sich überlegt, dass Papageien bekanntlich immer das ungefiltert nachplappern, was sie umgibt, dann erzählt das viel über ihr Zuhause. Es ist nichts Gutes.

Die zwei Papageien-Filme laufen in Dauerschleife, bilden den Sound für die gesamte Ausstellung. Das ist penetrant, soll es auch sein. Man kann dem Gekreisch nicht entkommen, ebenso wenig wie man die Schlagzeilen über die letzten Tweets des Clowns, der Präsident werden will, überlesen, den generellen großstädtischen Geräuschpegel herunterdimmen oder den Werbe-Trash beim Checken seiner Mails ausschalten kann. Die Welt ist laut und voller Müll. Die Populisten, um die es hier geht, setzen immer noch eins drauf und versuchen lauter zu sein als alle anderen. Das macht sie so nervtötend – und so effektiv. Eben das ist die Papageien-Lektion: Wer am lautesten schreit, kriegt am meisten Gehör.

Womit wir beim Dilemma der Ausstellung wären. In gewisser Weise imitiert sie nämlich das Phänomen, das sie untersuchen will. Auf Hysterie antwortet sie mit einem Aufschrei. Auf der Webseite wirbt sie mit einem Trump-Foto (Achtung, Hingucker!), und die nur acht gezeigten Exponate bedienen sich einer starken, teils plakativen Bildsprache. „Nazi Milk“ vom kanadischen Künstlerkollektiv „General Idea“ zum Beispiel. Das bereits 1979/1980 entstandene Vinyl-Bild zeigt ein blondes Jüngelchen mit großem Milchglas in der Hand, eine Milchspur auf der Oberlippe ist das ironische Echo auf ein Hitlerbärtchen. Ist der Junge nun gefährlich niedlich oder das Bild gefährlich kitschig? Verharmlost es oder zeigt es, wie unschuldig alles Gefährliche beginnen kann? Kurator Gohlke weiß um das Dilemma. Die Ausstellung sei gewissermaßen ein „Reflektor“, laufe Gefahr, dass sie die Tendenzen, die sie zeigt, selber reproduziert. Kann das aber heißen, dass man darüber schweigt? Kaum.

Vielleicht hat „Shock Room“ also nicht in allen Exponaten den richtigen Tonfall getroffen. Aber schon weil damit die wichtige Debatte darüber angeregt ist, was denn der richtige Tonfall im Umgang mit Populisten ist, hat diese Ausstellung, die keine sein will, trotzdem recht. Zumal es nachdenklichere Beiträge gibt als „Nazi Milk“. Der Dresdner Künstler Mario Pfeifer hat über neun Stunden lang Dresdner Bürger interviewt: „Über Angst und Bildung, Enttäuschung und Gerechtigkeit, Protest und Spaltung in Sachsen“, so der Titel der Arbeit, die zurzeit auch in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig zu sehen ist.

Unkommentiert, ungekürzt und ohne Namen kommen hier verschiedenste Bürger zu Wort. Einer von ihnen spricht eindrücklich von dem Wunsch, alle an einen Tisch zu bekommen, davon, dass seine Stadt Dresden feststecke. Stimmt, denkt man da. Der Mann redet und redet und dann, hoppla: „Dresden für alle ist eigentlich Dresden für weniger.“ Der Mann ist René Jahn, Mitbegründer von Pegida. Eine bessere Lektion in Sachen genaues Zuhören könnte es nicht geben. Man muss eben nur lernen, die Papageien im Hintergrund auszublenden.

„Shock Room“ bis 13.11. im Pavillon auf der Freundschaftsinsel. Am 8.11. ab 19.30 „Wahl-Spezial“ mit Gerrit Gohlke

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