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Bleiben lieber sitzen. Christian Ulmen und Buddy Fahri Yardim spielen in „Jerks“ sich selbst. Die zweite Staffel geht heute online. Sie stolpern von einer Peinlichkeit in die nächste – in der aktuellen Staffel blamieren sie sich mit jugendlichem Getue auf einer Teenager-Geburtstagsparty.

© maxdome/ProSieben/André Kowalski

Serie in Potsdam: Christian Ulmen ist konsequent peinlich

Die in Potsdam gedrehte Serie „Jerks“ geht in die zweite Runde. Ab 8. Mai ist sie auf ProSieben zu sehen.

Der Meister des Fremdschämens ist zurück. Noch immer die gleiche Jacke, noch immer halb versteckt unterm graugrünen Käppi und im Fusselbart. Auch in der Haltung sieht er meistens so aus, als wäre er eigentlich gerade lieber nicht da: Der in Potsdam lebende Christian Ulmen spielt Christian Ulmen, der in Potsdam lebt. Zu sehen ist das in der zweiten Staffel der Serie „Jerks“, die ab heute online und bald auf ProSieben zu sehen ist. Regie: ebenfalls Christian Ulmen.

Um eins gleich vorweg zu sagen: Das Duckmäuserische dieses Film-Christian-Ulmen täuscht. Denn hier wagt sich eine Serie so weit vor wie vielleicht kein anderes Fernsehformat derzeit, von übermütigen „Tatort“-Experimenten einmal abgesehen. Die waren, wenn sie denn Wagnisse waren, Wagnisse in der Form. Bei „Jerks“ aber geht es um Inhalte. „Jerks“ ist eine Gesellschaftssatire, die sich nicht wegduckt, keine Grenzen kennt. Vor allem nicht die des guten Geschmacks, der Konvention, der Scham. Immer wenn Ulmen so aussieht, als wäre er am liebsten woanders, wird er sich gleich noch peinlicher bloßstellen. Und Ulmen sieht eigentlich immer so aus.

Film-Insider-Gags

Dass Teil eins der neuen Staffel nun mit einem Seitensprung beginnt, ist angesichts der „Fehltritte“, um die es hier sonst geht, fast irritierend banal – und zeigt doch exemplarisch die Ulmensche Vorgehensweise. Christian Ulmen erwacht im Bett neben einer ihm Unbekannten. Sie erkennt ihn immerhin („Bist du Christian Ulmen?“), er hingegen hat auch beim Verlassen der Wohnung noch keine Ahnung, wer die Unbekannte ist. Kleiner Insider-Gag, Film- und Theaterinteressierte kennen sie durchaus: Ex-Burgschauspielerin Jasna Fritzi Bauer. Auch mit der sprichwörtlichen Fallhöhe zwischen Hoch- und Unterhaltungskultur spielt „Jerks“ unentwegt. In einer Folge von Staffel eins muss sich Ulmen, der in Liebeskomödien wie „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ dabei war, von „Tatort“-Partnerin Nora Tschirner anhören: „Immer nur Schwiegermutter-Komödien, das ist doch scheiße, was du da immer machst.“ Er müsse ja auch leben, sagt er da kleinlaut.

Zurück zu Staffel zwei. Ulmens Film-Freundin Emily (Emily Cox) darf von der Bettgeschichte auf keinen Fall erfahren, und Buddy Fahri Yardim (Fahri Yardim) sorgt dafür, dass das auch nicht passiert. Emily bleibt ahnungslos – bis der von Gewissensbissen, oder eigentlich doch nur Verlassensängsten geplagte Christian Ulmen den Fehltritt eines anderen so wortreich verteidigt, dass Emily erkennt, von wem er hier eigentlich spricht. In Episode zwei ist Ulmen, Achtung Spoiler, wieder Single.

Nach wahren Begebenheiten

Single, oder nicht, darum geht es in „Jerks“ aber nicht. Viel aussagekräftiger sind die anderen Fehltritte, die ethischen. Die dem Alltag gnadenlos abgeschauten Gemeinheiten, Eitelkeiten, Ressentiments – gegen Frauen, Arme, Behinderte. Ulmen bringt sie mit dem immer gleichen Dackelblick vor, mit dem man so schön sympathisieren kann. Gegen Fremde ebenso wie gegen die eigene Freundin. Und um die eigene Fassade zu retten – was natürlich nie gelingt –, fallen sich auch die beiden Buddys Christian und Fahri jederzeit in den Rücken.

„Die Ereignisse beruhen auf wahren Begebenheiten“, steht im „Jerks“-Vorspann, und das glaubt man sofort. Was Ulmen da macht oder sagt, hat man so auch schon erlebt oder gesehen – nur dass Ulmen und Yardim immer weiterreden, wo Normalsterbliche Halt machen würden. Eine Beziehung mit einer „starken alten Eiche“ zu vergleichen, ist charmant, den Vergleich aber wortreich auf die eigene Freundin auszuweiten, eher nicht.

Selbstbefriedigung gehört dazu

Das ist das Prinzip von „Jerks“: reden bis zum Umfallen. Dinge, auch sonst eher wenig telegene Alltagsdinge, werden hier beim Namen genannt. Ob das nun die Scheidencreme von Yardims Film-Freundin Pheli (Pheline Roggan) ist (wo sonst hört man im deutschen Fernsehen sonst schon das Wort Scheide?) oder der Penis-Ausschlag von Ulmen – oder die Frage, wie eine 17-Jährige mit künstlichem Darmausgang lebt. Denn auch darum geht es in der neuen Staffel von „Jerks“. Christian Ulmen spielt das, wie alles, was er in „Jerks“ anfasst, durch bis zur letzten Konsequenz. Und die tut weh, immer. Erinnert sei an die Folge in Staffel eins, in der einer von Ulmens Bekannten über den erfüllenden Sex mit seiner ganzkörpergelähmten Freundin spricht. Und wie Emily dann fragt: „Sie hat eine Träne auf der Wange, ist das normal?“

„Jerks“, das gemeinhin gerne mit „Trottel“ übersetzt wird, kann auch „wichsen“ bedeuten, sicher kein Zufall. Eine ganze Folge in Staffel eins ist der (weiblichen) Selbstbefriedigung gewidmet. Porno, Sex, Ausscheidungen: Ja, die Serie hat einen Hang zu anal- und fäkalorientierten Themen, den man pubertär nennen könnte – aber, das ist das Kluge an dieser Serie, sie stellt sich selbst als pubertär bloß. In Staffel zwei, Folge zwei biedern sich Ulmen und Yardim einer Gruppe Teenager-Mädchen an, wie es peinlicher kaum sein könnte – beim Kiffen in der Biosphäre übrigens. Hier dürfen sich die beiden Männer wieder jung fühlen, und wichtig natürlich. Als die Eltern sich bei der Geburtstagsfeier ihrer 17-Jährigen Tochter zurückziehen, um „die Kinder“ allein zu lassen, tun Ulmen und Yardim alles dafür, bei den Teenagern am Tisch sitzen zu bleiben. Sie wissen, wo sie hingehören.

Besuch beim Urologen in der Brandenburger Straße

Selbstbefriedigung, Scheidencreme, Ressentiments: „Jerks“ veralltagt die Dinge, die ohnehin zum Leben gehören, aber sonst niemand sehen will, für das Fernsehen. Das macht die Serie so außergewöhnlich – und es wäre schon ohne die starken Frauenfiguren (Emily Cox, Pheline Roggan, Gisa Flake) und diese angeknackste Männlichkeit, die die beiden Hauptdarsteller mit aller Kraft kümmerlich dastehen lassen, ein emanzipatorischer Akt.

Potsdam, wo erneut an über 30 Orten gedreht wurde, zeigt sich in „Jerks“ übrigens wie schon in Staffel eins von seiner schönsten und auch schlimmsten Seite: Gedreht vor allem in Villen in der Seestraße, mit Blick über den Griebnitzsee. Es ist die Welt der Betuchten und Sorglosen – mit kleinen Abstechern ins Holländische Viertel, wo Ulmens Freundin Emily sich mit einem Laden für gehobene Haushaltsgegenstände ihre Zeit vertreibt oder auch mal in die Brandenburger Straße, wo der Hypochonder Ulmen seinen Urologen hat. Die hier gezeigte Welt dürfte auf den ersten Blick mit der der meisten Potsdamer wenig zu tun haben – Promi-Welt eben. Auf den zweiten aber ist sie auch die bis in die karierten Bettbezüge hinein ungemein kleinbürgerlich – und einem auf geradezu unheimliche Weise nahe. Ihre Lacher werden Ihnen zeigen wo.

Alle zehn Folgen sind ab heute auf www.maxdome.de abrufbar. Am 8. Mai startet „Jerks“ auf ProSieben

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