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Kultur: Sehnsucht nach der Sehnsucht

Große bulgarische Lyrik von Tzveta Sofronieva

Von Sarah Kugler

Wenn die Schriftstellerin Tzveta Sofronieva liest, passiert etwas zwischen ihr und dem Publikum, das nicht wirklich fassbar ist. Jedes Wort von ihr ist ein Pfeil. Ein Pfeil, der sein Ziel trifft. Der immer an der richtigen Stelle steckt und damit eine körperliche Reaktion hervorruft. Eine Reaktion, die sich von innen nach außen ausbreitet und den Zuhörer wach werden lässt, mit jeder Faser – selbst wenn das letzte Wort schon längst verklungen ist. So auch am vergangenen Mittwoch als sie in der Potsdamer Kleist-Schule unter dem Titel „Die Einsamkeit der Biene“ verschiedene Texte, hauptsächlich aus dem Gedichtband „Landschaften.Ufer“, las. Moderiert wurde die Veranstaltung von Rolf Hosfeld, unter anderem Leiter des Lepsiushauses in Potsdam, der sie mit den Worten des Nobelpreisträgers Joseph Brodsky „Listen carefully to her. She has something to say“ vorstellte.

Ein Hinweis, der kaum notwendig war. Weil sofort klar war, dass man gar nicht weghören konnte. Dabei gebrauchte Sofronieva keine großen Gesten, ja nicht einmal eine besonders laute Stimme. Sie las einfach sanfter Stimme, in der immer noch ein Hauch von bulgarischem Akzent liegt, der daran erinnert, auf welch ein Leben die Schriftstellerin in ihren Texten zurückblickt. 1963 in Sofia geboren, studierte sie Physik sowie Philosophie und Wissenschaftsgeschichte. Sie promovierte 1991 über kulturelle Einflüsse auf den Wissenstransfer und nahm an der Poetry Master Class von Joseph Brodsky teil. In den 80er-Jahren musste sie Bulgarien wegen kritischer Äußerungen verlassen und ging in die USA, wo sie sich mit mehreren Vorträgen finanziell über Wasser hielt. Reisen, Forschungsaufenthalte und Lesungen führten sie in die ganze Welt. Heute lebt sie als freie Autorin in Berlin und schreibt ihre Texte auf Deutsch, Bulgarisch und Englisch.

Es ist, so sagte sie am Mittwoch, vor allem die Idee der Kommunikation, die sie zum Schreiben motiviere. „Ich glaube, dass Menschen sich verstehen können, auch wenn sie es eigentlich nicht können“, sagte sie. „Sie müssen sich nur bemühen und dieses Bemühen ist dann so wunderbar.“ Sie selbst habe Deutsch dadurch gelernt, dass sie viel gelesen, aber auch geschrieben habe. Immer wieder spiegelt sich das Thema Sprache auch in ihren Texten wider, etwa wenn es in „Reise nach Westen“ heißt: „Ich suche das Wort in den Linien von Schultern und Hügeln, von Bächen und Brücken Ich suche die Sprache, in der ich ein Wort bin.“ Zunächst schrieb sie nur epische Texte auf deutsch und hätte nicht gedacht, dass sie auch deutsche Lyrik verfassen könne. Anfangs sei sie sehr unsicher gewesen, was die Qualität der deutschen Gedichte anging. „Ich habe sie immer erst ins Bulgarische übersetzt, um zu wissen, ob sie auch gut sind.“

Inzwischen brauche sie diese Absicherung nicht mehr. Ihr erstes Gedicht in deutscher Sprache war „noch eines der verbotenen Worte“. Ein Text, von dem sie selbst nicht so richtig wusste, wo er herkam, und der, auch wenn er so klinge, kein wirkliches Liebesgedicht sei. Was auch immer die Inspiration für den Text war, er war, wie alle anderen Gedichte des Abends, ein Geschenk an das Publikum und als sie ihn mit den Worten „Sehnsucht verschwinde nicht“ beendete, war deutlich spürbar, dass gerade erst eine Sehnsucht geweckt wurde. Eine Sehnsucht nach mehr. Mehr von Sofronieva und ihren starken Worten. Sarah Kugler

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