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Kultur: Sehnsucht nach dem eigenen Ich

Uraufführung von „Grösse Null“ des Theaterjugendclubs in der Reithalle A

Sie sind jung, gut aussehend und anscheinend sehr dynamisch. Wie auf einem Laufsteg stolzieren sie auf dem Beckenrand herum: Sieben junge Frauen, die ihren Weg gehen werden. Doch was auf den ersten Blick klasse aussieht, erweist sich in der Szenenfolge „Grösse Null“, die am Samstagabend in der Reithalle A zur Premiere kam, bald als sehr widersprüchlich, enorm anstrengend und voller Zwänge.

Vor einem halben Jahr begannen sieben 16- bis 19-jährige Darstellerinnen des Theaterjugendclubs des Hans Otto Theaters unter der Leitung von Manuela Gerlach und Kerstin Gnielka an dem Projekt, das damals noch „Größe 0“ hieß, zu arbeiten. Anfangs beschäftigten sie sich mit exemplarischen Frauenbiografien – von Frida Kahlo über Kate Moss bis hin zu Condoleezza Rice. Bald rückten sie jedoch von ihrer Ursprungsidee, sich ausschließlich mit dem Thema Magersucht zu beschäftigen, ab. Sie ließen mehr und mehr eigene Beobachtungen und Erfahrungen in die zu erfindenden Frauenfiguren einfließen.

Jetzt treffen in ihren vollkommen selbst verfassten Szenen u.a. eine junge Mutter, eine karrierebewusste Jurastudentin und eine Tochter aus gutem Hause aufeinander. Ort dieses Geschehens ist ein Waschsalon. Hier wird nicht nur im buchstäblichen Sinn die dreckige Wäsche gewaschen, sondern es stoßen sehr unterschiedliche Charaktere und Anschauungen aufeinander. Und schnell wird klar: Jede hat ihr eigenes „Päckchen“ zu tragen. Gemeinsam ist ihnen jedoch eines: Ihre Wünsche und ihre Träume unterscheiden sich sehr stark von dem, was sie wirklich leben. Da raus zu kommen, erscheint fast unmöglich. „Was macht mich schon aus?“, fragt sich die verzweifelte BWL-Studentin, die ihrem Vater, der seit ihrem 14. Lebensjahr bestimmt, wohin ihr zukünftiger Weg gehen soll, endlich die Gefolgschaft kündigen will. Oder das coole Model im sexy Kleid, das sich nach nichts mehr sehnt als nach Balkonblumen und einem eigenen Ehebett.

Die sieben Spielerinnen (Marie-Luise Flohr, Christina Petschke, Solveig Wittfoth, Éve Seidel, Ann-Kathrin Mahlow, Hanna Siwkowski und Jördis Wölk) haben ziemlich genau hingeguckt und nicht nur beim Spielen einigen Mut bewiesen. In ihren berührenden Monologen legen sie immer wieder den Finger in die schmerzende Wunde. Sie zeigen junge Frauen, leider alle nur aus der Mitte der Gesellschaft – gebildet und leistungsbereit – die sich in den Lebensentwürfen, die diese für sie bereit hält, irgendwann nicht mehr wiederfinden. Noch „funktionieren“ sie und halten die Fassade aufrecht. Das ist beklemmend und verstörend und sagt viel über uns alle aus.

Denn es gehört entweder eine Menge Selbstbewusstsein, eine gehörige Portion „Leichtsinn“ oder vielleicht auch nur genügend große Verzweiflung dazu, einen „eigenen“ Weg zu gehen. Die Einser-Abiturientin Alexandra, die sich ihr Leben nicht nur mit Schokopudding versüßen will, wirbelt jedenfalls ganz schön rum im Waschsalon. Die Szenen dort – allesamt witzig und pointiert – zeigen viel von der Spielfreude und der Leichtigkeit der Protagonistinnen, die vom jugendlichen Premierenpublikum viel herzlichen Beifall, für ihren zum Teil ersten „großen“ Auftritt erhielten.

Nächste Vorstellung am 1. November, 19.30 Uhr in der Reithalle A

Astrid Priebs-Tröger

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